Herz in Fesseln
beobachtet“, begann Anna schließlich. „Egal, was ich im Haus gemacht habe, immer war er da und hat mich angestarrt. Anfangs dachte ich, ich würde es mir nur einbilden. Schließlich war er mit meiner Mutter verheiratet, und ich kannte ihn kaum. Ich war ja das ganze Jahr über im Internat und bin nur in den Ferien nach Hause gekommen.“
Sie schluckte hart, dann zwang sie sich, fortzufahren. „Irgendwann fing er dann an, ständig Bemerkungen über meinen Körper zu machen … wie sehr ich mich entwickelt hätte und dass ihn das wahnsinnig anmachen würde …“
Bei der Erinnerung spürte sie wieder die vertraute Übelkeit in sich aufsteigen. „Es war zwar kein sexueller Missbrauch im eigentlichen Sinn, aber er hat sich keine Gelegenheit entgehen lassen, mich wie zufällig zu berühren und dabei in allen ekelhaften Details zu beschreiben, was er gern mit mir tun würde …“ Erneut versagte ihr die Stimme. Eine Weile blickte sie starr vor sich hin, dann fügte sie zynisch hinzu: „Natürlich hat er das nur gemacht, wenn wir allein waren. In Gegenwart meiner Mutter war er immer ganz normal und freundlich.“
Damon war die Kehle wie zugeschnürt. „Warum hast du ihr denn nichts davon gesagt?“, hakte er vorsichtig nach.
„Weil Phil mich dann nur ausgelacht und behauptet hätte, dass meine Fantasie mit mir durchgegangen sei“, erwiderte sie bitter. „Außerdem war Mum zum ersten Mal, seit mein Vater uns verlassen hatte, wieder glücklich. Das konnte ich ihr einfach nicht kaputt machen, und Phil hat das ganz genau gewusst.“
„Und wo war dein Vater, als all das vorging?“ Die Vorstellung, dass jemand so niederträchtig sein konnte, einem verletzlichen jungen Mädchen so etwas anzutun, versetzte Damon in einen Zustand mörderischer Wut.
„Zu dem Zeitpunkt hatte ich kaum noch Kontakt zu ihm“, antwortete Anna ausdruckslos. „Er war ganz mit seiner neuen Familie beschäftigt, und ich hatte Angst, dass er denken würde, ich hätte mir das alles nur ausgedacht, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.“
Genau, wie ich es vermutet habe, dachte Damon grimmig. Als Anna ihren Vater verzweifelt gebraucht hatte, war er nicht für sie da gewesen. Stattdessen musste sie ganz allein mit den schmutzigen Avancen ihres Stiefvaters fertig werden. Kein Wunder, dass sie so entschlossen war, nie wieder einem Mann zu vertrauen.
Trotz der warmen Abendsonne, die durch die großen Fenster ins Zimmer strömte, war Anna eiskalt. Sie schlang die Arme um sich und warf Damon, der mit finsterer Miene vor sich hin brütete, einen scheuen Seitenblick zu. Noch nie hatte sie über den Albtraum gesprochen, der sie bis heute verfolgte, doch nachdem sie einmal angefangen hatte, ver spürte sie das dringende Bedürfnis, sich auch noch den Rest von der Seele zu reden.
„Phil hat mich davon überzeugt, dass Sex etwas Schmutziges und Abstoßendes ist“, bekannte sie leise. „Verstandesmäßig weiß ich zwar, dass es nicht stimmt, aber ich höre immer noch seine Stimme in meinem Kopf. Als du versucht hast, mich zu … lieben, fand ich es zuerst wunderschön. Doch dann war es plötzlich, als würde ich seine Hände auf meinem Körper spüren, und ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er irgendwo da draußen ist und all diese widerlichen Dinge über mich denkt …“
„Aber das kann er nicht mehr, pedhaki mou“ , eröffnete Damon ihr. „Philip Stone ist vor zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Er kann dir nie wieder wehtun.“
10. KAPITEL
„Bist du schon wach, Anna?“
„Ja, Ianthe, du kannst ruhig hereinkommen.“ Anna lächelte verschlafen, als ihre Schlafzimmertür vorsichtig geöffnet wurde.
„Papa hat mir verboten, dich zu wecken“, gestand ihr die Kleine, die ebenso fließend Englisch sprach wie Damon und Tina. „Aber ich konnte nicht länger warten, weil wir doch heute nach Poros verreisen.“
Mit einem schwungvollen Satz warf Ianthe sich auf Annas Bett, wobei die rebellischen schwarzen Locken nur so flogen. „Es wird einfach toll werden! Zuerst fahren wir auf Papas Boot, und wenn wir dann auf der Insel sind, können wir eine ganze Woche lang schwimmen und am Strand spielen.“ Ihre dunklen Augen funkelten vor Vorfreude. „Wirst du mit mir schwimmen gehen, Anna?“
„Natürlich, was glaubst du denn?“ Ianthes Enthusiasmus wirkte ansteckend. Anna schlug die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. „Ich muss nur noch schnell duschen, dann bin ich fertig. Wie spät ist es
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