Herz in Fesseln
überhaupt?“
„Schon fast neun“, informierte Ianthe sie. „Ich wollte dich schon früher wecken, aber Papa meinte, dass du vielleicht noch müde bist, weil du manchmal schlimme Träume hast.“ Sie hüpfte wieder vom Bett und folgte Anna ins angrenzende Bad. „Ich hatte früher auch schlimme Träume von Monstern, aber Papa hat gesagt, ich bräuchte keine Angst vor ihnen zu haben, weil er sie alle wegjagen würde. Träumst du auch von Monstern, Anna?“
Nachdenklich betrachtete Anna ihr Spiegelbild. Ihre Augen leuchteten in klarem Blau, und die dunklen Schatten waren daraus verschwunden. „Früher ja“, antwortete sie ehrlich. „Aber dein Papa hat meine Monster auch verjagt.“
„Papa ist der Beste!“
Die Bewunderung und das unerschütterliche Vertrauen in Ianthes Stimme weckten bittersüße Erinnerungen in Anna. Früher hatte auch sie ihren Vater für das wundervollste Wesen auf Erden gehalten. Bis er dann von einem Tag auf den anderen seine Koffer gepackt und sie und ihre Mutter im Stich gelassen hatte.
Aber Damon war nicht wie Lars Christiansen. In der Woche, die Anna jetzt in Athen war, hatte sie mehr als einmal Gelegenheit gehabt, festzustellen, dass Ianthe die uneingeschränkte Nummer eins in Damons Leben war. Anna bewunderte und respektierte ihn dafür. Nie wäre ihr der Gedanke gekommen, auf seine Liebe zu seiner Tochter eifersüchtig zu sein.
Mit Damons verstorbener Frau war es dagegen eine andere Sache …
„Beeil dich, Anna!“, riss Ianthes helle Stimme sie aus ihren Grübeleien. „Papa wartet schon auf der Terrasse.“
Zehn Minuten später schlüpfte Anna in weiße Jeans und ein gelbes Sonnentop, band sich das lange Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und fuhr mit dem Lift nach unten. Wenn sie ehrlich war, war sie wegen der bevorstehenden Reise fast genauso aufgeregt wie Ianthe.
Nach Damons Eröffnung, dass Philip Stone tot war, hatte sie die ersten zwei Tage in einer Art Schockzustand verbracht. Erst nachdem sie wirklich begriffen hatte, dass der Mann, der ihr so viel Leid zugefügt hatte, für immer fort war, begann die Erleichterung einzusetzen. Es war, als wäre ein lebenslanges Urteil gegen sie aufgehoben worden, und allmählich lösten sich die seelischen Barrieren auf, die sie bis heute daran gehindert hatten, eine normale sexuelle Beziehung aufzunehmen.
Inzwischen konnte Anna aufrichtig sagen, dass sie mit der Vergangenheit im Reinen war und der Zukunft mit neuem Optimismus entgegenblickte. Die Vorstellung, mit Damon zu schlafen, machte ihr keine Angst mehr – ganz im Gegenteil. Jedes Mal, wenn er sie küsste, reagierte sie mit einer Leidenschaft auf ihn, die ihm hoffentlich zeigte, dass sie nun bereit war, ihm ganz zu gehören.
Aber zu ihrer Enttäuschung war er bisher nicht auf ihre Signale eingegangen. Jeden Abend begleitete er sie zu ihrem Zimmer und küsste sie, bis sie fast verrückt vor Sehnsucht war. Dann wünschte er ihr höflich eine gute Nacht und zog sich in sein eigenes Zimmer zurück.
Zuerst hatte Anna geglaubt, er wolle ihr nur Zeit geben, um die Nachricht vom Tod ihres Stiefvaters zu verdauen. Mittlerweile vermutete sie jedoch, dass seine Zurückhaltung einen anderen Grund hatte.
Damons Frau war seit fast neun Jahren tot, aber dennoch schien sie in jedem Winkel, jeder Nische dieses Hauses weiterzuleben. Sämtliche Räume der Villa waren mit Elenis dynamischen, ausdrucksstarken Bildern und Skulpturen geschmückt – ein unübersehbarer Beweis dafür, dass Damon sich ihr noch immer zutiefst verbunden fühlte. Unter diesen Umständen kam es ihm vermutlich wie ein Sakrileg vor, Anna in einer Umgebung zu seiner Geliebten zu machen, in der ihn alles an seine geliebte Frau erinnerte.
Seit Ianthe ihr stolz einige Fotografien von ihrer Mutter gezeigt hatte, wusste Anna, dass Eleni nicht nur außerordentlich talentiert, sondern auch wunderschön gewesen war. Mit einer solchen Frau mitzuhalten, war nicht leicht, und Anna wollte es gar nicht erst versuchen.
Als sie die Terrasse betrat, sah sie Damon im Schatten der Pergola sitzen. Wie immer ließ sein Anblick ihr Herz schnel ler schlagen, und unwillkürlich fragte sie sich, wie sie wohl mit einer unverbindlichen Affäre zurechtkommen würde. Denn mehr hatte sie nicht zu erwarten. Damon hatte deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er nicht auf der Suche nach einer neuen Ehefrau war.
„Guten Morgen, pedhaki mou . Hast du gut geschlafen?“ Damon ließ seine Zeitung sinken und musterte sie mit einem Blick, der Anna
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