Herz in Gefahr
dumm halten, aber ich habe nie daran gedacht, ihn nach seinen Eltern zu fragen. Ich habe immer angenommen, dass sie nicht mehr am Leben sind.”
“Aber er hat auch nie über sie gesprochen, oder?” Und in seiner Stimme klang wieder all die Abneigung mit, die Dan aus tiefstem Herzen für den Mann empfand.
“Lass uns nicht streiten”, bat sie ihn. “Uns bleibt nur wenig Zeit, und ich freue mich so sehr, dich zu sehen.” Sie sah ihn vertrauensvoll an.
Dans Herz setzte einen Schlag aus. Er sehnte sich danach, sie in die Arme zu nehmen und ihr zu schwören, dass er sich immer um sie kümmern wollte, aber er hielt sich zurück.
Was konnte er ihr bieten? Er besaß weder ein Vermögen noch eine Stellung. Die Vorstellung, von Judiths Geld zu leben, verursachte ihm Übelkeit. Er war der Überzeugung, dass ein Mann in der Lage sein sollte, aus eigener Kraft für seine Familie zu sorgen. Aber würde er jemals dahin kommen?
“Dan? Was ist?” Judith legte ihre Hand in seine, aber er entzog sich ihr, als ob er ihre Berührung nicht ertragen könnte.
“Nicht!”, stieß er heftig hervor.
“Entschuldige!” Ihre Lippen zitterten. “Ich wollte dich nicht beleidigen.”
“Mich beleidigen? Weißt du nicht, dass ich …” Er hielt inne, als ihm klar wurde, was er fast gesagt hätte. “Verzeih!”, fuhr er fort. “Ich möchte auch nicht, dass wir uns streiten.”
Sie gingen weiter. Der schmale Weg zwischen den Büschen war fast menschenleer. Judith schluckte ihre Enttäuschung über sein seltsames Benehmen hinunter. Diese Stunde mit ihm war zu kostbar.
“Hast du meinen Rat befolgt?”, fragte sie.
“Wegen der Entwürfe? Ja, das habe ich. Lord Nelson ist wieder in England, wie du weißt. Er wohnt in Merton bei … bei den Hamiltons. Es ist nicht sehr weit entfernt von London.”
“Und du hast ihm geschrieben?”
“Ich habe ihm meine Entwürfe für ein schnelles Schiff, das sich leicht manövrieren lässt, geschickt.”
Judiths Augen strahlten. “Meinst du, du wirst bald von ihm hören?”
“Ich möchte dir keine Hoffnungen machen. Er findet vielleicht nicht einmal die Zeit, sich meine Ideen anzusehen …”
“Doch, das wird er, ich weiß es!”
Dan lächelte über ihre Begeisterung. “Du bist also auch eine Bewunderin unseres Helden?”
“Ist nicht jeder sein Bewunderer? Den jetzigen Frieden verdanken wir ihm. Wenn er nicht die Franzosen und ihre Alliierten besiegt hätte, hätte der Krieg nicht geendet.”
“Zugegeben. Aber genug von meinen Angelegenheiten. Ich habe die Kapitel gelesen, die du mir dagelassen hast. Bessie hat sie in ihrer Tasche. Sie sagt, du hast an dem Buch weitergeschrieben.”
Judith nickte.
“Darf ich dann die Fortsetzung sehen? Es ist so amüsant. Ich liebe die Art, wie die Erzählung dahinfließt. Du weißt wirklich glänzend mit Worten umzugehen, meine Liebe.”
“Nur auf dem Papier”, protestierte sie verlegen.
“Unsinn! Wir beide hatten immer die anregendsten Unterhaltungen. Stimmt es nicht?”
Judith errötete vor Freude über sein Lob und bemerkte zunächst nicht den sich nähernden Gentleman, der ihnen vom anderen Ende des Wegs entgegen kam. Erst als Dan sich eine Begrüßung murmelnd verbeugte, wurde sie sich seiner bewusst. Der Mann sah auf, und die Überraschung in seiner Miene war so deutlich, dass Judith am liebsten im Erdboden versunken wäre.
“Bring mich zurück!”, bat sie Dan eindringlich.
Dan drückte ihr beruhigend die Hand. “Es gibt keinen Grund zur Sorge, Judith. Chessington ist kein Plaudermaul.”
“Wir sollten hier nicht allein spazieren gehen. Ich komme mir vor wie eine Straftäterin.”
“Eine liebenswerte Straftäterin”, sagte Dan seufzend, gab aber nach. “Wie du willst.” Sie drehten sich um und gingen den gleichen Weg wieder zurück. “Aber versprich mir, dass du das Buch beenden wirst.”
“Ich glaube nicht, dass ich aufhören kann. Die Worte scheinen wie von selbst zu kommen.”
“Das ist gut. Wann bringst du mir den Rest zum Lesen?”
Judith zögerte. Sie hatten so leicht wieder in ihre alte Freundschaft zurückgefunden. Aber das war süß und bitter zugleich. Wenn sie sich weiterhin sahen, würde es ihr später umso schwerer fallen, sich für immer von ihm zu trennen.
“Warum antwortest du mir nicht?”, fragte er leise. “Ist es wegen Truscott? Hast du nicht gesagt, dass er fort ist?”
“Doch”, gab sie zu, “aber ich habe das Gefühl, ihn zu hintergehen.”
“Warum? Er hat dir doch nicht verboten,
Weitere Kostenlose Bücher