Herz in Not
im letzten Moment suchte er Halt an ihrer Stuhllehne.
„Geht es Ihrem Vater gesundheitlich wieder besser?“
Das dankbare Lächeln, mit dem Victoria zu ihm aufschaute, hätte fast seinen rachsüchtigen Entschluss zunichte gemacht, ihr die Rolle der Gejagten in seinem Katz-und-Maus-Spiel zuzuschieben. Ja ... ja, danke, es geht ihm gut“, versicherte Victoria stotternd. „Es gibt Tage, ja Wochen, da ist er völlig bei Sinnen. Dann gibt es wieder Zeiten, da glaubt er, er sei in Hammersmith ... und meine Mutter lebe noch.“ Hastig fuhr sie fort: „Seine körperliche Verfassung ist sehr robust ..." Der feurige, leidenschaftliche Blick, mit dem David sie ansah, ließ sie errötend verstummen.
Er war durchaus nicht interessiert, was sie von ihrem Vater erzählte. Nur an ihr war David interessiert. Victoria bemerkte seine gespannte Erwartung und sah die weißen Handknöchel, die ihre Stuhllehne umklammerten. „Wir ... wir sollten die Tür öffnen“, meinte sie mit erstickender Stimme. „Meine Tante könnte nach mir suchen ...“
David lachte laut auf. „Aber Mrs. Hart! Sind Sie etwa besorgt um Ihren guten Ruf?“
„Einer von uns beiden sollte schon um unseren Ruf besorgt sein, Lord Courtenay“, schoss Victoria zurück.
„Denken Sie dabei auch an meinen Ruf?“
„Natürlich.“
„Glauben Sie, ich sei es wert?“ "Ja."
David betrachtete ihr ernstes Gesicht. Er kannte diese offenen unschuldigen Züge so gut. Unwillkürlich strich er ihr sanft mit dem Finger über die Wange. „Und warum?“ fragte er leise.
Eine ausgezeichnete Überleitung, fand Victoria. „Weil ein Ehemann die Achtung seiner Frau besitzen sollte.“ Sie beobachtete sein Mienenspiel, wie er sie unsicher ansah, ungläubig den sinnlichen Mund verzog. Nun gab es kein Zurück mehr. „Zunächst muss ich mich für meine deutlichen Worte entschuldigen“, begann sie. „Mein Mann ist gerade erst drei Monate tot, und ich weiß, dass man es für skandalös halten wird, wenn ich so bald wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehme und sogar an Wiederverheiratung denke. Deshalb entschuldige ich mich von vornherein, falls ich Sie in Verlegenheit bringen sollte, Lord Courtenay. Aber in meiner Lage kann ich mir Liebenswürdigkeit und Heuchelei nicht leisten. Mir bleibt nur diese eine Woche in London. Bevor ich nächsten Donnerstag nach Hartfield zurückfahre, muss ich versuchen, meine Schwierigkeiten zu lösen.“ Sie besaß nicht den Mut, ihn weiter anzuschauen. Ob sein Mienenspiel Belustigung, Abscheu oder Interesse signalisierte, wollte sie später herausfinden. „Der Anwalt meines verstorbenen Mannes eröffnete mir, dass meine Schulden Besorgnis erregend hoch seien fuhr sie rasch fort.
„Fast vierzigtausend Pfund“, erklärte David kühl, während er zur Tür ging und sie einen Spalt breit öffnete.
„Vierzigtausend Pfund“, wiederholte Victoria leise. Der Schock über die Höhe der Summe war so groß, dass sie sich nicht fragte, woher David diese Information bekommen hatte.
Langsam ging er zu seinem Schreibtisch und bedeutete ihr mit einer Handbewegung fortzufahren.
„Ich ... möchte Sie bitten ... mich zu heiraten.“ Wie Kieselsteine kullerten die Worte durch den Raum. „Sicher ... bestimmt werden Sie sich fragen, was mich veranlasst, Ihnen eine Vernunftehe vorzuschlagen, welchen Vorteil Sie dabei haben ...“
„Vernunftehe ...?“ fuhr er sie an. „Was soll das heißen?“
„Nun ... ich habe festgestellt... dass wir uns nicht mehr lieben. Wir sind uns fremd geworden, leben in verschiedenen Welten. Ich weiß ... dass Sie hier in London ein Leben führen, dass Sie nicht mit mir teilen möchten. Sie haben hier Ihre Freunde ... Kreise, in denen Sie verkehren ... während ich in Hartfield lebe und für meine Verwandten sorge. Eine Ehe, die lediglich auf dem Papier besteht, also eine Ehe ohne eheliche Pflichten, würde uns beide nicht einengen.“
„Aha ... ich soll Sie also heiraten, Ihre Schulden begleichen, das Gut unterhalten, das Ihnen ein anderer Mann vermacht hat - so weit ich verstehe, ein Besitz, den ich nie mein Eigentum nennen darf -, für Sie sorgen und vermutlich auch für Ihre Verwandten, und dafür erhellte ich .. .Ja, Mrs. Hart, was erhalte ich denn dafür?“ beendete er nachdenklich seine zynische Aufzählung.
Victoria wurde blutrot vor Scham. So trivial aufgezählt, klang ihr Vorschlag unerhört arrogant. „Hartfield ist ein wunderschöner Besitz“, versuchte sie zu erklären. „Beim Begräbnis Ihres
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