Herz ist Trumpf
?“
Das Schnarchen hörte auf, er runzelte die Stirn und brummte etwas Unverständliches, wurde indes nicht wach. Er lag auch nicht wirklich in ihrem Bett, sondern nur darauf. Sein Krawattentuch hatte er von sich geworfen, die obersten Knöpfe seines Hemdes standen offen, und die Ärmel waren hochgekrempelt. Er trug keine Schuhe, aber die Weste war zugeknöpft – Gott sei Dank seine Hose ebenfalls –, und die goldene Kette seiner Taschenuhr hing elegant an seiner Seite herunter.
„Guilford, wachen Sie auf!“, flüsterte Amariah drängend. Sie streckte die Hand aus und wollte ihn schütteln, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne, als ein heftiger Schmerz ihren Arm durchzuckte. Dann sah sie die Furcht einflößende Prellung, die inzwischen in allen Farben leuchtete, und plötzlich fielen ihr die Ereignisse des gestrigen Abends wieder ein – und dass nichts Ungehöriges zwischen ihr und Guilford vorgefallen war.
Guilford lag auf dem Rücken, sein Kopf ruhte auf ihrem zweiten Kissen. Sein Haar war zerzaust, und ein dunkler Bartschatten zeigte sich um seinen Mund. Im Schlaf sah er viel entspannter aus, jünger, bubenhafter, nicht so scharfsinnig und weltgewandt, wie sie ihn kannte. Es war ein ganz anderer Guilford als der, der ihr bis gestern Abend vertraut gewesen war.
Aber dieser Guilford hätte ihr auch nicht das Haar gebürstet oder wäre so behutsam mit ihr umgegangen, wie sie es gebraucht hatte. Solange sie zurückdenken konnte, war immer sie diejenige gewesen, die für andere sorgte, doch gestern Nacht hatte er sich um sie gekümmert, und sie hatte es gemocht. Ihn hatte sie auch gemocht, weil er so viel Verständnis für sie zeigte. Dieser neue Guilford hatte gelächelt, ihr Geschichten aus seiner Kindheit erzählt, damit sie ihre Angst vergaß, und sie im den Arm gehalten, bis sie eingeschlafen war.
Amariah seufzte wehmütig. Es war nicht seine Schuld, dass ihr törichtes Herz sich nach mehr von ihm sehnte; sie hatte kein Recht, irgendetwas von ihm zu erwarten, und er war nicht geneigt, ihr irgendetwas zu geben. Doch es würde ihren Ruf und damit auch den von Penny House ruinieren, wenn man ihn hier in ihrem Bett vorfand. „Guilford, bitte, Sie müssen jetzt aufwachen!“, sagte sie lauter, energischer.
Endlich erwachte er und rieb sich mit den Händen übers Gesicht. Er öffnete erst das eine, dann das andere Auge und lächelte sie schlaftrunken an.
„Amariah! Wie überaus schön du am Morgen bist!“
„Nein, Guilford, bitte, dafür haben wir keine Zeit“, erwiderte sie. „Es ist schon spät, und Sie müssen gehen.“
Er stützte sich auf die Ellbogen und lächelte unwiderstehlich. „Wie geht es deinem Arm, Amariah?“
„Er sieht schlimm aus“, gab sie zu, „aber er tut nicht mehr ganz so weh. Guilford, Sie müssen gehen, ehe jemand bemerkt, dass Sie hier sind.“
„So bald schon?“ Er setzte sich auf und zog seine Taschenuhr hervor. „Es ist ja noch nicht einmal Mittag.“
„Mittag!“ Amariah griff nach der kleinen Messinguhr auf ihrem Nachttisch. „Oh, Guilford, es ist nach elf! Die Hausmädchen haben inzwischen längst ausgefegt und die Kamine gereinigt, und in der Küche wird das Essen für heute Abend vorbereitet!“
„Also wird kein Mensch bemerken, dass ich hier bei dir bin“, beruhigte er sie.
„Im Gegenteil!“, rief sie verzweifelt. „Allen ist aufgefallen, dass ich noch nicht nach unten gekommen bin. Und weil Deborah Sie gestern Abend hier gesehen hat, werden sie Vermutungen anstellen!“
„Die völlig zutreffend wären.“ Er beugte sich zu ihr und runzelte die Stirn, als er ihr Gesicht betrachtete. „Der Bluterguss an deiner Schläfe sieht ziemlich hässlich aus. Komm her, damit ich mir die Prellung einmal richtig anschauen kann.“
Sie strich sich das Haar zurück. „Ist es wirklich so schlimm? Ich habe noch nie in meinem Leben Schminke benutzt.“
„Vielleicht wirst du das heute Abend tun müssen.“ Er hielt ihr Kinn fest, damit sie den Kopf nicht bewegte. „Du solltest es von einem Arzt untersuchen lassen.“
„Der würde nur versuchen, mich zur Ader zu lassen, und das will ich nicht.“
Der Bartansatz ließ sein Lächeln verwegener aussehen. „Um auf die Vermutungen zurückzukommen, die man über uns anstellen könnte: Die meisten Frauen haben nichts dagegen, wenn ihr Name mit meinem in Verbindung gebracht wird, weißt du.“
„Ich bin nicht die meisten Frauen“, erinnerte sie ihn, zog ihr Kinn jedoch nicht zurück. „Schon gar nicht in
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