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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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jemand so was für mich getan? Er hat meinen Koffer auf mein Bett gehievt und sieht mich erwartungsvoll an. Da ich nicht genau weiß, was er erwartet, ignoriere ich ihn und fange an auszupacken. Er drückt sich in meinem Zimmer rum und guckt zu.
    »Ich hab meine Sachen noch nicht ausgepackt«, sagt er plötzlich. »Ich dachte, vielleicht willst du lieber tauschen. Also dass du Benjamins Zimmer nimmst und ich deins. Weil, du hast doch da bestimmt allerhand, ähm, Erinnerungen oder so.«
    Ich gebe zu, ich bin überrascht. So viel Einfühlungsvermögen hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Es hat eine irgendwie schwächende Wirkung auf mich, weshalb ich mich kurz auf meinen Schreibtischstuhl setzen muss, wo ich über seinen Vorschlag nachdenke, ohne ihn dabei anzusehen. Er bleibt unschlüssig im Raum stehen.
    »Okay«, sage ich dann in einem plötzlichen Aufwallen von Entschlossenheit. »Du hast recht. Ich geh rüber. Du kannst hier einziehen.«
    Ich schmeiße die Klamotten wieder in meinen Koffer und trage ihn nach nebenan. Tatsächlich, in Benjamins Zimmer deutet so gut wie nichts auf Anokis Anwesenheit hin. Er hat das Bett benutzt (der Panther vom Martinimarkt liegt darin und ist sorgfältig bis zum Hals zugedeckt), und es stinkt nach Zigarettenrauch. Aber nirgendwo liegen getragene Socken, zerlesene Mangas, verschimmelte Stullen oder was Typen wie er sonst so in ihrer Umgebung verstreuen, um sich heimisch zu fühlen. In einer Ecke steht sein zerschlissener Rucksack, der vermutlich seinen kompletten Besitz enthält und bisher nicht angetastet wurde. Mit einer gewissen Beflissenheit nimmt Anoki sein Bettzeug mit dem Panther und bringt es rüber. Sekunden später kommt er zurück und zieht das Leintuch ab, das er dann gemeinsam mit seinem Rucksack aus dem Zimmer trägt. Damit hat er alle seine Spuren getilgt.
    Trotzdem sieht es hier anders aus als sonst, fast wie in einem Hotelzimmer. Meine Mutter hat Benjamins persönliche Gegenstände entfernt: seine Fotos, Poster und Urkunden, die Sammlung von Swatch-Uhren, die Schulbücher, Stifte, Hefte und Notizzettel auf seinem Schreibtisch, den halb zu Tode geliebten Teddy auf dem Regal über dem Bett, die angebrochenen Päckchen mit Papiertaschentüchern, seine Bücher, CDs, DVDs und Comics und – ich öffne angstvoll den Schrank – all seine Kleider. Ich breche fast zusammen. Wo sind Bennis Sachen? Haben sie sie etwa … weggeworfen? O Gott! Ich glaub, ich dreh durch! Ohne Rücksicht auf Verluste stürme ich die Treppe runter und schreie: »Wo sind Bennis Sachen? Wo habt ihr sie hingetan?« Damit verstoße ich gegen die oberste Trojan’sche Regel: Der Mörder hat sich so unauffällig wie möglich zu verhalten.
    Meine Eltern kommen mir entsetzt aus der Küche entgegen, und mein Vater packt mich an den Oberarmen, als müsse er mich vor einer Gewalttat bewahren.
    »Nun reg dich doch nicht so auf«, sagt meine Mutter zwischen Angst und Verärgerung, »wir haben nichts weggeschmissen, falls du das glaubst. Wir haben alles in Kartons gepackt und in den Keller gebracht. Es ist alles noch da.«
    »Im Keller?«, schreie ich, nach wie vor am Rande der Hysterie. »Im Keller? Zwischen Ratten und Spinnen? So weit weg wie möglich? Wo es niemand sieht? Was soll Benni denn im Keller? Gehört er jetzt nicht mehr zur Familie oder was?«
    »Nicht Benni ist im Keller, sondern seine Sachen«, entgegnet meine Mutter streng und mit penetrantem Rationalismus. »Schrei hier nicht so rum. Was ist denn mit dir los?«
    Ich starre sie ein paar Sekunden lang sprachlos an, dann flüstere ich: »Entschuldigung. Ich hatte gerade kurz vergessen, dass ich kein Mensch bin«, drehe mich um und schleppe mich wieder die Treppe hoch.
    Ich setze mich auf Benjamins nackte Matratze, stütze den Kopf in die Hände und schäme mich. Anoki kommt ganz leise reingeschlichen, setzt sich vor mich auf den Boden, kaut an den Fingernägeln und mustert mich sorgenvoll. Sobald ich seinen Blick erwidere, sagt er: »Ich hab geahnt, dass das keine gute Idee ist.«
    »Was?«, blaffe ich ihn unhöflich an.
    »Dass ich hier in dieses Zimmer ziehen soll«, antwortet er. »Ich wollte das gar nicht. Tut mir leid.«
    »Es ist nicht deine Schuld«, sage ich großmütig, wende aber den Kopf ab, weil ich ihn nicht sehen will. Irgendwie ist es doch seine Schuld. Ich überlege, ob ich ihm voll ins Gesicht treten soll – er sitzt gerade in einer hervorragend dafür geeigneten Position. Ich male mir das Geräusch aus, mit dem ich seine Zähne

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