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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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dass ich Anoki nach dem Frühstück in mein Auto lade und zur Skaterbahn transportiere. Er fährt sich kurz warm und klettert dann direkt auf die Halfpipe, wo er ein paar Mal übt, bis ihm die ersten Stunts gelingen. Wir sind die Einzigen hier, und ehrlich gesagt ist mir ein bisschen langweilig, aber ich mache Fotos und probiere dabei die Serienbildfunktion meiner Kamera aus, dann experimentiere ich noch mit verschiedenen Brennweiten und Verschlusszeiten. Inzwischen beherrscht Anoki ein eindrucksvolles Kunststück, bei dem er am oberen Rand der Halfpipe vom Brett springt, und das führt er mir jetzt stolz vor und will dafür bewundert werden. Gut, den Gefallen kann ich ihm tun, weil ich es tatsächlich erstaunlich finde, wie schnell er lernt und über was für eine Körperbeherrschung er verfügt. Aber dann muss Schluss sein.
    »Komm jetzt, mir ist eiskalt«, dränge ich.
    Anoki versucht, noch ein paar Minuten rauszuschinden. »Warte kurz, ich will nur noch schnell den Nosegrab ausprobieren«, ruft er über die Schulter und flitzt auf seinem Brett davon.
    »Du kennst ja den Weg«, sage ich und gehe zügig zum Auto. Sekunden später rollt Anoki neben mir her. »Du bist gemein«, beklagt er sich, »ich wollte doch nur noch schnell …«
    »Aber bitte!«, unterbreche ich ihn, ohne stehen zu bleiben. »Ist doch kein Problem! Ich fahr bloß schon mal nach Hause!« Seinen beleidigten Gesichtsausdruck kenne ich schon, er ist irgendwie niedlich. Ich mache schnell ein Foto davon, ehe er reagieren kann, und da fängt er an zu lachen.

 
 
14
    Meine Mutter kommt nicht ganz damit klar, dass wir die Zimmer getauscht haben. Ich habe ihr mehrmals erklärt, dass ich keinen Fremden in Benjamins vier Wänden haben will – dann ist es doch besser, ich entweihe den Tempel selbst, oder? Aber immer wieder irrt sie sich in der Tür, legt mir Anokis frisch gewaschene und sorgfältig zusammengelegte Jeans aufs Bett oder klopft bei ihm an, um mich zum Anfeuern des Kamins zu holen. Heute Vormittag, während ich mit Anoki auf der Skateranlage war, ist die Post gekommen, und meine Mutter hat einen an mich gerichteten Brief auf Anokis Bett gelegt. Den hat er aufgemacht und gelesen, wahrscheinlich sogar Wort für Wort auswendig gelernt, und jetzt kommt er damit zu mir rüber und behauptet, er hätte nicht so genau auf den Umschlag geguckt und geglaubt, der Brief wäre für ihn. »Das ist echt schwach, du Blödmann«, sage ich, »für wie dämlich hältst du mich eigentlich? Also, erzähl schon, von wem ist der Brief, und was steht drin?«
    Er sieht ein, dass es keinen Sinn hat, mir was vorzumachen. »Irgendso ’ne Exfreundin von dir«, sagt er kritisch. »Die liebt dich immer noch und schickt dir viele Weihnachtsgrüße und will dich wiedersehen. Was is’n das für eine?«
    »Ach Gott, das ist bestimmt Sarah, was? Zeig mal her!« Ich schnappe ihm das Couvert aus der Hand und werfe einen Blick auf den Absender. »Na klar, Sarah. Mit deren Briefen könnte ich mein Badezimmer tapezieren. Ich hab sie vor anderthalb Jahren das letzte Mal gesehen, und sie hat die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben!«
    Anoki scheint das zu bewundern. »Warst du denn mal mit der zusammen?«
»Ja – drei Wochen«, antworte ich abfällig. Sarah war wirklich eine grauenhafte Nervensäge. Sie redete die ganze Zeit über ihren kranken Vater, sogar im Bett, was mich unsagbar abtörnte, und außerdem roch sie nach Veilchen, igitt. Und ab unserem zweiten oder dritten Treffen trug sie plötzlich eine tierisch blöde Brille, mit der sie aussah wie eine magersüchtige Eule. Eigentlich weiß ich gar nicht, warum ich es drei Wochen mit ihr ausgehalten habe. Vermutlich war gerade nichts Besseres verfügbar.
    »Und warum hast du dann mit der Schluss gemacht?«, will Anoki wissen.
    »Weil sie immer so viel gefragt hat«, erkläre ich. Er zieht eine Grimasse, als er die Anspielung kapiert.
    »Die schreibt aber total nett«, beharrt er. »So’n Brief würd ich auch gern mal kriegen.«
    »Du kannst ihn haben«, biete ich an, aber er verdreht nur die Augen. »Hast du kein schlechtes Gewissen, wenn dir ’n Mädchen so nett schreibt und du dann so über die ablästerst?«, will Anoki wissen. Das darf doch wohl nicht wahr sein! Hat er jetzt seine Berufung als Moralapostel entdeckt?
    Als ich später an diesem Abend im Bett liege, denke ich noch mal darüber nach, und da dämmert mir, wo er seinen wunden Punkt hat: wenn Menschen abserviert und stehengelassen werden – so wie er an

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