Herzblut 02 - Stärker als der Tod
willst du denn hin?“
Oh Mann, sie hatte sogar die gleiche hohe, zuckersüße Stimme wie ihre Töchter. Schlimmer als Fingernägel auf einer Kreidetafel.
„Zum Footballtraining. Wir fangen morgens früh an“, antwortete ich, ohne sie anzusehen. Ich hatte schon eine Hand auf dem Türknauf zur Freiheit.
„Nicht ohne den Talisman, den dir deine Mutter gegeben hat. Sie hat mich gewarnt, dass du versuchen würdest, dich ohne das Armband rauszuschleichen.“
Zähneknirschend wandte ich mich zu ihr um. „Ich brauch das Ding nicht.“
Sie lächelte übertrieben freundlich. Mit ihrer sonnenverbrannten, ledrigen Haut erinnerte sie mich an einen Alligator. „Das sieht sie anders.“
„Sie ist aber nicht hier.“
„Nein, aber ich.“ Ohne mich aus den Augen zu lassen, nippte sie an ihrem Kaffee.
Ich überlegte ernsthaft, Magie gegen sie einzusetzen. Aber dannwürden bei meiner Mutter womöglich alle Sicherungen durchknallen.
Ich seufzte tief, holte das Armband von oben und trampelte wieder nach unten.
„Leg es bitte an“, sagte sie.
Ich starrte auf die Tür. Die Freiheit war so nah. Ich wollte aus dem eigenen Zuhause fliehen. „Sie wissen schon, dass ich der nächste Anführer des Clanns werde, oder?“
„Tja, aber bis es so weit ist, hast du noch zu gehorchen. Und deine Mutter hat dir befohlen, den Talisman zu tragen.“
Mühsam hielt ich meinen Energielevel unter Kontrolle, legte mir die lederne Fessel um und drückte die Knöpfe zu. „Zufrieden? Kann ich jetzt gehen?“
„Fahr vorsichtig. Wir wollen doch nicht, dass du wieder einen Unfall baust, solange ich auf dich aufpassen soll.“
Was sollte das heißen? Dachte sie, sie könnte mich dazu bringen, dass ich mich von einer Klippe stürzte?
Stinksauer fuhr ich los. Ich hoffte wirklich, sie würde eine Klippe finden und runterspringen, bevor ich heute Abend aus der Schule kam.
Unterwegs hielt ich an und verbrannte das Armband am Straßenrand. Dann fuhr ich weiter zur Schule.
Ich hatte Savannah eine SMS geschrieben und sie gebeten, erst mal zu Hause zu bleiben, bis sich die Lage beruhigt hatte, aber sie hatte nicht reagiert. Auch als ich versuchte, sie anzurufen, meldete sie sich nicht. Hoffentlich würde ihr der Vampirrat befehlen, abzutauchen, nachdem er mit Dad geredet hatte. Aber falls nicht oder falls sie heute trotzdem in die Schule kommen sollte, würde auch ich da sein. Mit ein paar ziemlich genialen Zaubern im Gepäck.
Nach dem Footballtraining in der ersten Stunde rannte ich als Erster ins Duschhaus, damit ich das Hauptgebäude vor Savannah erreichte. Als ich den Hauptflur durch die Hintertür betrat, nahm ich das verzauberte Kaugummi aus dem Mund und klebte es über dem Türrahmen fest. Danach ging ich nicht direkt zu dem Raum, in dem wir in der zweiten Stunde Englisch hatten, sondern lief durch den Flur zur Vordertür und klatschte ein zweites Kaugummian die Wand.
Auf dem Weg zum Unterricht überlegte ich, dass ich die Cafeteriatüren in der Pause präparieren konnte. Die Türen vom Sport- und Kunstgebäude würde ich mir nach dem Unterricht vornehmen, wenn niemand mehr in der Schule war.
Savannah
„Du gehst nicht“, sagte Dad Dienstagmorgen. „Ich verbiete es. Höchstwahrscheinlich tragen alle extrem starke Schutzzauber bei sich.“
„Dad, ich muss gehen“, sagte ich möglichst ruhig. Ich stand in der Diele, eine Hand am Tragegurt meiner Sporttasche, in der anderen den Schlüssel zu meinem nagelneuen Auto, das erst seit gestern vor der Tür stand. „Du verstehst das nicht. Ich habe mich nie körperlich gewehrt, aber ich bin auch noch nie vor einem Nachfahren weggelaufen. Wenn ich nicht zur Schule gehe, und zwar nicht nur diese Woche, sondern heute, glauben sie, sie hätten gewonnen. Dann werden sie nur noch schlimmer. Sie werden glauben, sie könnten mich ganz aus der Schule vertreiben. Und wo soll das enden? Als Nächstes kann ich nicht mal einkaufen gehen, weil vielleicht irgendein Nachfahre mit einem Schutzzauber in dem Laden ist. Und dann jagen sie mich ganz aus der Stadt oder bringen es so weit, dass ich das Haus nicht mehr verlassen kann.“
Dads Schweigen bewies mir, dass ich nicht unrecht hatte.
„Ich muss das einfach machen.“
„Es gefällt mir nicht.“
„Glaubst du, mir etwa? Ich habe nicht gesagt, dass ich gehen will. Aber ich muss, sonst hören sie nie auf. Ich muss beweisen, dass ich stark genug bin und mich unter sie traue, bis Tristans Dad nach Hause kommt und sie zurückpfeift.“
Dad seufzte,
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