Herzblut 02 - Stärker als der Tod
nach Hause?“
„Ja. Ich brauche nicht lange.“
„Ist gut.“ Ich zögerte. „Hör mal, fahr vorsichtig, ja? Ich glaube, Mom würde es nicht verkraften, wenn du jetzt einen Unfall baust.“
„Ja, ja. Ich bin in einer halben Stunde da.“ Schniefend beendete sie das Gespräch.
Ich ließ mich auf einen Küchenhocker sacken und stützte den Kopf in die Hände.
Das konnte doch nicht wahr sein. Soweit ich wusste, war es Jahrzehnte her, dass ein Clann-Mitglied von einem Vampir getötet worden war. Wie konnte ein Vampir eine ganze Familie von Nachfahren einfach umbringen? Besonders meine Tante und meinen Onkel. Tante Cynthia und Onkel James waren fast genauso mächtig gewesen wie meine Eltern.
Dreiunddreißig Minuten später kam Emilys Auto röhrend die Auffahrt herauf und fuhr in die Garage. Um so schnell hier zu sein, musste sie jedes Tempolimit ignoriert haben. Sekunden später stürzte sie in die Küche, umarmte mich kurz und heftig und rannte die Treppe hinauf.
„Emily“, jammerte Mom, als meine Schwester die Schlafzimmertür öffnete. „Sie sind tot!“
Emily murmelte etwas. Mom schluchzte, und jemand schloss die Tür.
Kurz darauf kam Dad nach unten. Er ließ sich auf den Hocker neben mir fallen. Die Metallbeine protestierten quietschend.
„Tja, wir fliegen wohl doch nach New York.“ Er seufzte. „Ich habe keine Chance. In ihrem Zustand lässt sie sich nicht davon abbringen.“
„Gib ihr wenigstens ein paar Tabletten oder so was“, schlug ich vor, und es war mein Ernst. „Wer weiß, was sonst passiert.“
„Das stimmt. Ich nehme Schlaftabletten mit. Bis wir wiederkommen, bleibt Emily hier …“
„Komm schon, Dad. Ich bin siebzehn. Ich brauche doch keinen Babysitter.“
„Keine Widerrede, Tristan. Sonst lassen dich deine Mom und ich nicht hier. Deiner Mom wäre es sowieso lieber, wenn du und Emily mitkommen würdet. Aber ehrlich gesagt glaube ich, dass ihr nicht mit nach New York kommen solltet. Wenn da ein durchgedrehter Vampir herumläuft, ist es gut, wenn ihr nicht in der Nähe seid. Außerdem wird ein erwachsener Nachfahre hier wohnen, während wir weg sind.“
„Ist das dein Ernst? Ich bin inzwischen weiter als die meisten von ihnen!“ Wir wussten beide, dass das nicht übertrieben war. Dad hatte mich unterrichtet, damit ich später als fünfte Generation der Colemans den Clann anführen konnte. In den letzten Jahren hatten wir jede Woche geübt, und er hatte mir fast alles beigebracht, was er über Magie wusste. Sogar er hatte beim Training manchmal Schwierigkeiten, meine Zauber abzuwehren.
„Junge, hast du eine Ahnung, wie ernst das ist? Wenn wir diese Sache nicht sofort in den Griff bekommen, könnte der ganze Friedensvertrag platzen. Einer oder mehrere Vampire haben gerade die Verwandten des Clann-Führers ermordet und damit den Vertrag gebrochen. Wir müssen herausfinden, was dahintersteckt, bevor die Nachfahren allein entscheiden und einen neuen Krieg anzetteln.“
Einen Krieg? Es war Jahrzehnte her, dass wir gegen die Vampire gekämpft hatten. Das konnte doch nicht sein Ernst sein.
Ich musterte sein Gesicht, das kalte Funkeln in seinen Augen und den erbitterten Zug um seinen Mund. Doch, es war sein Ernst.
„Kann es nicht sein, dass ein einzelner Vampir einfach die Kontrolle verloren hat?“
Dad schüttelte den Kopf. „Das würde ich gerne glauben. Aber du weißt ja selbst, wie groß New York ist. Es wäre doch sehr unwahrscheinlich, dass ein Vampir in einer so großen Stadt die Kontrolle verliert und ausgerechnet die Familie deiner Mutter angreift. Außerdem ist es zu glatt gelaufen. Sie wurden zu Hause getötet, ohne Zeugen und ohne Spuren eines Einbruchs.“
Er rieb sich mit den Händen übers Gesicht. Seine Handflächen schabten über den Bart. „Deine Mutter ist davon überzeugt, dass es eine Botschaft sein sollte. Fast schon eine Kriegserklärung.“
„Was glaubst du?“
„Ich glaube, dass es geplant war. Mehr weiß ich noch nicht. Wir müssen mehr erfahren. Wir müssen herausfinden, ob es nur ein willkürlicher Überfall war oder ein Mord, den der Rat in Auftrag gegeben hat. Und wir müssen uns beeilen, bevor der ganze Clann hysterisch wird.“
Er starrte ins Leere. „Ich habe mein ganzes Leben mit dem Rat an diesem Friedensvertrag gearbeitet, und mein Vater sein halbes Leben vor mir. Ich werde jetzt nicht überstürzt eine Entscheidung treffen und diese ganze Arbeit zunichtemachen, ohne dass ich genau weiß, was passiert ist und ob man die
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