Herzblut 02 - Stärker als der Tod
es ihr sagen?
Nein, ich musste Mom beschützen.
Aber dann wäre Emily allein im Haus. Was, wenn Dads Mörder herkam und sich Emily schnappte?
Fluchend lief ich nach oben, nahm immer zwei Stufen auf einmal, stürzte in Emilys Zimmer und rüttelte sie wach.
„Was …“, grummelte sie schläfrig. Sie stützte sich auf einen Ellbogen und rieb sich die Augen.
„Emily, wach auf. Es geht um Dad.“
Sie runzelte die Stirn und blinzelte. „Was? Was ist los? Ist er zu Hause? Sag Mom, dass ich echt keinen Hunger habe, ja?“
Was redete sie da? Sie wusste doch, dass er zu Hause war. Ich hatte gesehen, wie sie vor dem Haus mit ihm gesprochen hatte.
Sie war wohl noch im Halbschlaf. „Emily, du musst aufwachen.Steh auf und zieh dich an. Der Clann ist auf dem Weg, aber ich muss wieder auf die Lichtung, um Mom zu beschützen, bis die anderen kommen. Und du musst mitkommen. Sonst kann ich euch nicht beide beschützen.“
Sie kämpfte sich hoch und zog sich einen Morgenmantel aus Fleece über. „Tristan, ich schwöre dir, wenn du mich verarschen willst, werde ich …“
„Sag’s nicht“, unterbrach ich sie. „Es ist ernst. Dad ist draußen auf der Lichtung. Er … er ist …“ Ich holte tief Luft und schob meine Gefühle für den Moment beiseite. „Er ist tot, Em. Er ist wirklich tot.“
Sie riss die Augen auf, rannte nach unten und in die Küche. Als sie in der Garage ihre Gummistiefel anzog, hielt ich sie fest. Sie sah nicht mal nach Spinnen, obwohl sie Schuhe sonst ewig ausklopfte, bevor sie ihre nackten Füße hineinsteckte.
Dann liefen wir los, so schnell es ihre übergroßen Schuhe erlaubten.
Als sie Mom neben Dads Leiche sah, keuchte sie auf und fiel neben unseren Eltern auf die Knie. Und endlich erlaubte Mom jemandem, sie in den Arm zu nehmen. Sie vergrub das Gesicht an Emilys Schulter.
Dr. Faulkner fand uns zuerst, dicht gefolgt von Officer Talbot. Sie untersuchten Dad, stellten fest, dass er wahrscheinlich schon seit Stunden tot war, und blieben bei uns, bis ein Krankenwagen ihn abholte. Erst jetzt schaffte Emily, was uns anderen nicht gelungen war. Sie holte Mom von seiner Seite weg, führte sie zurück zum Haus und brachte sie ins Bett, nachdem sie ihr eine Schlaftablette gegeben hatte. Wahrscheinlich wäre die Tablette gar nicht nötig gewesen. Nachdem Mom versucht hatte, Dad zurückzuholen, war sie völlig erschöpft.
Während sich Emily um Mom kümmerte, sprach ich in der Küche mit Officer Talbot und Dr. Faulkner. Ihr Tonfall war ruhig, aber sie stellten mir immer wieder die gleichen Fragen.
Und ich gab ihnen immer wieder die gleichen Antworten.
„Ich weiß nicht, wer dieser Mann war. Er war ordentlich angezogen: Stoffhose, glänzende Halbschuhe, langer schwarzer Wollmantel.Sein Auto habe ich nicht gesehen – er hat wohl vorne geparkt und ist zu Fuß nach hinten gekommen. Ich glaube, Emily kennt ihn. Sie hat ihn zur Begrüßung umarmt. Fragen Sie Emily nach ihm. Ich habe nicht gehört, was sie gesagt haben. Ich weiß nicht, was er wollte. Er war gegen fünf hier.“
Irgendwann kam Emily herunter, und Officer Talbot ging mit ihr in den Eingangsbereich. Aber ich konnte hören, was sie antwortete.
„Ich sage Ihnen doch, hier war niemand. Ich habe Dad nicht zu Hause gesehen“, beharrte sie. „Ich war krank und habe den ganzen Tag in meinem Zimmer geschlafen. Fragen Sie meine Mutter, sie kann es Ihnen bestätigen.“
Ich wusste ja, dass Emily gut lügen konnte, aber damit setzte sie neue Maßstäbe. Als ich ihr eine Weile zugehört hatte, hätte ich sie erwürgen können.
„Hör auf mit dem Mist, Emily.“ Ich schob mich an Dr. Faulkner vorbei und ging zu ihr. „Sag ihnen einfach die Wahrheit. Hier geht es um unseren Vater. Du und dieser Typ habt Dad als Letztes lebend gesehen. Also sag ihnen, wie es war!“
Ihr kamen die Tränen, und sie verzog das Gesicht. „Aber ich sage doch die Wahrheit! Ich weiß noch, dass Mom einkaufen gefahren ist und du mitfahren wolltest. Danach bin ich eingeschlafen, und plötzlich rüttelst du mich wach und sagst mir, dass Dad …“
„Willst du damit sagen, du weißt nicht mehr, dass du Mantel, Schal und Hausschuhe angezogen hast, um dich draußen fast zwei Stunden lang mit Dad und einem Fremden zu unterhalten?“
„Nein.“
„Nein, du weißt es nicht mehr, oder nein, du hast das nicht gemacht?“ Ich versuchte ihre Gedanken zu lesen, aber sie waren wie immer völlig abgeschottet.
Hatte sie vielleicht schlafgewandelt? Soweit ich wusste, hatte sie
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