Herzblut 02 - Stärker als der Tod
profitieren?
Das herauszufinden würde mein erstes und wichtigstes Ziel als Clann-Führer sein.
Savannahs Vater hatte für mich den Kontakt zu Caravass, dem Vorsitzenden des Vampirrates, hergestellt. In den letzten Tagen hatten wir mehrmals miteinander gesprochen. Keiner von uns hatte etwas Neues herausgefunden, aber wir glaubten, dass jemand versuchte, beide Seiten durch ihre Ängste und ihr Misstrauen gegeneinander auszuspielen. Ich war mir noch nicht sicher, ob ich Caravass wirklich vertrauen konnte, aber mein Instinkt sagte Ja, und Dad hatte immer gesagt, ich solle darauf hören. Die Zukunft würde es zeigen. Fürs Erste sagte mir mein Bauch, dass ich Caravass als Verbündeten brauchte, und ich hoffte, dass wir gemeinsam das Morden beenden konnten.
Ich musste nur heute Abend die Mehrheit bekommen. Deshalb hielt ich Mom auch nicht zurück, als sie die Gäste im ganzen Saal bearbeitete wie eine First Lady, die vor der Präsidentschaftswahl noch ein paar letzte Stimmen ergattern wollte. Ihre Methoden waren mies und würde mich später mehr Arbeit kosten, aber wenn siemich zum Clann-Führer machten, dann bitte.
Langsam verstand ich, warum Politiker etwas Skrupelloses an sich hatten. Offenbar musste man eine Menge Kompromisse eingehen und taktieren, wenn man Gutes bewirken wollte.
Ich hoffte nur, dass ich in einem Jahr noch in den Spiegel sehen konnte.
Ich konnte kaum verbergen, wie angespannt ich war, als sich die Versammlung auflöste und alle zum Zirkel gingen, um abzustimmen.
Ganz im Gegensatz zu Mr Williams. Er stand auf der anderen Seite des steinernen Throns, der meiner Familie gehört hatte, seit mein Ururgroßvater darauf gesessen hatte, und hätte nervös wirken sollen. Stattdessen war Mr Williams der Inbegriff von Gelassenheit, Ruhe und Zuversicht. Während ich mir in meinem Anzug vorkam wie ein Kind in einem Kostüm, sah er aus, als könnte er der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden, und Clann-Führer natürlich sowieso.
Zum ersten Mal in meinem Leben hasste ich es, so jung zu sein. Wäre ich ein paar Jahre älter gewesen, hätte er nicht so selbstgefällig dagestanden.
Ein Steinkelch wurde herumgereicht. Man durfte erst mit achtzehn wählen. Ein echter Pluspunkt für mich, weil Dylan und die Zickenzwillinge nicht abstimmen durften. Jugendliche durften allerdings zusehen, während die Kinder der Nachfahren ausgeschlossen waren, damit die Versammlung möglichst geordnet und formell ablief. Die Abstimmung selbst funktionierte über Magie. Mom hatte es mir heute Nachmittag erklärt. Alle Nachfahren mussten ihre Wahl durch Energie markieren, damit man die Stimmen zurückverfolgen konnte und niemand mehrere Stimmen abgab.
Am Ende stellte Dr. Faulkner den Kelch auf den Steinthron.
Er berührte den Rand ein-, zwei-, drei-, viermal, einmal für jede Himmelsrichtung. Dann wandte er sich an die versammelten Nachfahren.
„Und so lautet das Ergebnis!“
Savannah
Hinter mir lag die längste Woche meines Lebens, heute auch noch gekrönt vom längsten Tag. Ich war total unruhig. Ich hatte stundenlang getanzt, aber außer dass mir warm war und sich meine Muskeln gelockert hatten, hatte es mir nicht viel gebracht. Aus lauter Verzweiflung hatte ich mich sogar im Wald hinter dem Haus geerdet. Aber dadurch hatte ich nur Panik bekommen, ich könne nicht genug Energie haben, falls die Wahl schiefging. Wenn Mr Williams Clann-Führer wurde, würde er vielleicht als Erstes versuchen, Dad und mich zu schnappen. Am Ende nahm ich noch mehr Energie auf, bis ich mich fühlte, als wäre ich kurz davor, zu explodieren.
Dad zuzuhören half auch nicht gerade. Er hatte den ganzen Tag auf Französisch telefoniert. Das Problem war, dass er auch auf Französisch dachte. Und weil ich in der Schule Spanisch statt Französisch genommen hatte, hatte ich keine Ahnung, was er vorhatte.
Als um sechs Uhr mein Handy ging, wäre ich fast an die Decke gesprungen. War er das? Hatten sie schon abgestimmt, und Tristan wollte mir jetzt Bescheid sagen?
„He, wie geht es dir?“, erkundigte sich Anne.
Ich stieß den Atem aus. „Ach, ganz gut, glaube ich. Ein bisschen nervös. Mir ist schlecht. Ich kann nicht still sitzen.“ Ich hatte Anne vor ein paar Tagen von der Wahl erzählt.
„Willst du rauskommen und ein bisschen Zeit totschlagen? Ich bin in deiner Auffahrt.“
„Warum klopfst du nicht einfach?“
„Weil dein Dad auch zu Hause ist und Gedanken lesen kann. Und ich schätze mal, dass ich nichts über ihn, den
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