Herzblut 02 - Stärker als der Tod
hatte. In mir blitzte die Erinnerung auf, wie Tristans Hände über meine nackten Arme geglitten waren … „Ich dachte, dass du für das neue Schuljahr noch einkaufen willst oder musst.“
„Das mache ich noch. Morgen Abend, wenn der Laden leerer ist, will ich zu Walmart fahren und die Schreibsachen kaufen.“
„Was ist mit deinen Kleidern?“
„Was soll damit sein? Ich bin nicht gewachsen, also passt alles noch.“
„In den Zeitschriften tragen die Mädchen aber andere Sachen.“
„Niemand interessiert sich dafür, was ich anhabe, Dad.“
Er wandte sich zu mir um und verschränkte die Arme. „Das ist keine gute Strategie, um nicht aufzufallen.“
„Doch, sogar eine hervorragende. Auf das Mauerblümchen mit den drei Jahre alten Klamotten achtet kein Mensch. Glaub mir, ich werde so gut wie unsichtbar sein.“
„Nein, das wirst du nicht. Du wirst … wie würde deine Mutter sagen? Auffallen wie …“
„… ein bunter Hund?“, beendete ich den Satz für ihn.
„Genau.“
Ich starrte ihn an, um ihm zu zeigen, wie sehr ich seine Meinung teilte.
„Möchtest du mit deiner Mutter darüber reden? Sie ist bei Skype online; wenn du willst, kannst du mit ihr per Video chatten.“
Ha! Mom würde garantiert auf meiner Seite stehen. Sie konnte es nicht leiden, wenn Geld zum Fenster rausgeworfen wurde. „Na gut.“ Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, fuhr mein Laptop hoch und loggte mich ein. Und tatsächlich rief Mom an, sobald ich online zu sehen war. Nur Sekunden später sahen wir uns auf dem Monitor.
Erschrocken holte sie Luft.
„Was ist los?“, fragte ich. Automatisch sprang ich halb auf, alshätte ich ihr von hier aus helfen können.
Sie starrte mich an, beugte sich näher an ihr Laptop und verstellte offenbar den Bildschirm, weil sich ihr Kamerawinkel änderte.
„Habt ihr eine seltsame Beleuchtung im Zimmer oder …“
„Nein, haben wir nicht“, antwortete Dad hinter mir. „Deshalb habe ich auch vorgeschlagen, dass ihr euch heute über die Webcam seht.“
„Ich weiß, was du meinst“, sagte Mom.
„Was denn?“ Ich klammerte mich an der Schreibtischkante fest. „Was ist los?“
Mom verzog das Gesicht, wie immer, wenn sie nach den richtigen Worten suchte. „Na ja, Schatz, ich habe dich schon lange nicht mehr gesehen, und du siehst so … anders aus.“
„Wie eine Vampirin“, sagte Dad tonlos.
„Echt?“ Ich legte beide Hände an die Wangen. Mein Gesicht fühlte sich an wie immer. Allerdings hatte ich mich auch wochenlang nicht mehr richtig im Spiegel angesehen. Genau genommen seit Annes Geburtstag. Ich hatte keinen Grund dazu gehabt, weil ich nur zu Hause geblieben war und niemanden außer Dad und Gowin gesehen hatte.
„Vielleicht liegt es an ihrer Ernährung“, überlegt Dad leise.
Ich warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Ich habe dir doch gesagt, dass das keine gute Idee war.“
„Kleines, das musste sein“, widersprach Mom. „Keiner von uns konnte die Veränderung aufhalten. Und du bist ja nicht hässlich geworden. Du bist jetzt richtig … schön.“
Warum klang sie dann so entgeistert?
„Ich wollte deine Tochter davon überzeugen, dass sie sich für dieses Jahr neu einkleiden muss“, sagte Dad. „Sie braucht modische Sachen, die etwas ablenken können.“
„Das heißt, er will Geld für lächerlich teure Klamotten ausgeben“, berichtigte ich. „Meine alten Sachen passen noch wunderbar. Ich muss nicht einen Haufen Geld für komplett neue Sachen ausgeben. Stimmt’s, Mom?“
Sie wand sich ein bisschen. „Na ja, Schätzchen, dieses Mal könntedein Vater glatt recht haben.“
Was? Wurde ich etwa taub, statt immer besser zu hören? Meine sparsame, unglaublich genügsame Mutter hatte doch nicht gerade ihrem Exmann zugestimmt, dass man Geld für unnötige Klamotten verschwenden sollte.
„Sieh es als eine Art Tarnung“, meinte Dad. „Wie bei Vögeln. Wenn du mit der gleichen Kleidung in die Schule gehst, die du immer getragen hast, fällt den Leuten unweigerlich jede Veränderung in deinem Aussehen auf. Aber wenn du nicht nur neue Sachen trägst, sondern die neueste Mode, die kaum ein anderes Mädchen tragen wird, achten sie eher darauf. Dann schieben sie deine äußerlichen Veränderungen einfach auf deinen neuen Stil.“
„Das ist doch blöd.“ Grummelnd ließ ich mich zurückfallen und verschränkte die Arme. Ich fasste es nicht, dass Mom sich dieses Mal auf Dads Seite schlug. Sonst waren sie sich nie einig!
„Ach komm schon, Sav“, neckte
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