Herzblut - Gegen alle Regeln (German Edition)
tapfer. Ich konnte mich nicht entscheiden. Eins wusste ich jedenfalls sicher … lieber hätte sie mit den anderen Tänzerinnen in der Halbzeit im Flutlicht gestanden. Sie wollte es sich nicht anmerken lassen und hielt sich damit beschäftigt, Bandagen und Eisbeutel für die Charmers bereitzulegen, die sie nach dem Auftritt brauchten. Aber wenn sie dachte, niemand würde zusehen, konnte ich die Sehnsucht in ihren Augen erkennen.
Also warum tanzte sie nicht? War sie nicht gut genug für das Team? An religiösen Gründen konnte es nicht liegen. Bethany Brookes hatte mir diese Woche erzählt, dass jedes Mädchen für die Charmers vortanzen musste, um Betreuerin zu werden. Auch Savannah.
Selbst als schlechteste Tänzerin der Welt musste sie nicht als Betreuerin der Charmers arbeiten. Sie hätte etwas anderes mit ihrem Leben anstellen können, etwas, das sie viel weniger Zeit, Energie und Geduld gekostet hätte. Wollte sie sich heiligsprechen lassen? Hatte sie es nicht irgendwann satt, anderen zu helfen? Hattesie nicht mal eigene Wünsche, statt immer nur zu tun, was andere wollten?
Und warum ließ sie es sich gefallen, dass die Zickenzwillinge sie im Geschichtsunterricht als Freak bezeichneten, wenn sie dachten, ich würde sie nicht hören?
Gegen Ende der Halbzeit hatte sich all das in mir zu heißer Wut aufgestaut. Ich war wütend auf mich, weil ich auf Dylans Provokation angesprungen war und das Footballteam während der Play-offs verlassen musste. Auf den Clann, weil er alle Kinder der Nachfahren so manipuliert hatte, dass sie ein nettes, unschuldiges Mädchen wie Savannah für einen Freak hielten, den man um jeden Preis meiden musste. Ich war sogar wütend auf Savannah, weil sie das alles mitmachte und sich mit dem Posten als Chefbetreuerin zufriedengab.
Das war alles so dumm und unfair. Und wofür? Warum?
Als alle zum dritten Viertel aufstanden, blieb ich sitzen. Ich war so wütend, dass ich die Hände nicht von meinen wippenden Knien losreißen konnte. Und es war mir egal, dass meine Eltern mich ziemlich sicher auf der leeren Charmers-Tribüne entdecken würden. Sie besuchten alle Footballspiele der JHS Indians, um Emily mit ihren Cheerleadern an der Seitenlinie vor der Tribüne zu sehen. Sollten sie doch mitbekommen, dass ich bei den Charmers Begleiter geworden war. Sie hatten mich dazu getrieben.
Ich wollte mich nicht mehr von ihnen gängeln lassen. Jetzt hatte ich es nämlich begriffen. Ich war genau wie Savannah, oder? Ich tat immer, was meine Eltern wollten, und kämpfte nie für meine eigenen Wünsche. Meine Eltern bestimmten mein Leben bis in die kleinste Einzelheit. Und ich ließ das zu.
Ich gab es nur ungern zu, aber mit einer Sache konnte Dylan recht haben: Einige Regeln des Clanns waren schlichtweg falsch.
Gegen Ende des dritten Viertels kehrten alle auf die Tribüne zurück. Auch Savannah kehrte zu ihrem Platz neben mir zurück, blieb aber stehen. Ich spürte ihren Blick, erwiderte ihn aber nicht. Ich konnte es nicht. Sonst hätte ich womöglich angefangen zu schreien oder auf irgendwas eingeschlagen. Schon ohne dass ich sie so lieb und geduldig wie immer sah, fiel es mir schwer genug, meinEnergielevel unter Kontrolle zu halten.
„Tristan, willst du dir was zu essen oder zu trinken holen? Das Viertel dauert eine ganze Weile.“
Wieder dachte Savannah an jemand anderen statt an sich selbst. Mir stieg die Galle hoch. „Nein danke.“
„Soll ich dir lieber was holen?“
Als hätte ich mir die Beine gebrochen? Lief sie für die Tänzerinnen so viel durch die Gegend, dass sie jetzt für jeden die Dienerin spielte? Durch zusammengebissene Zähne presste ich hervor: „Ich brauche keine Sklavin, Savannah. Wenn ich etwas will, kann ich es mir selbst holen.“
„Was?“, fragte sie so leise, dass es fast ein Flüstern war.
„Du hast mich schon verstanden. Ich habe gesagt, ich kann mir selbst was holen.“
Ohne sie direkt anzusehen, bekam ich aus dem Augenwinkel mit, wie sich ihr ganzer Körper anspannte. Stocksteif setzte sie sich neben mich.
In mir regte sich Bedauern, aber ich schob es beiseite. Ich würde mich nicht entschuldigen. Vielleicht hätte ich es besser formulieren können, aber ich hatte trotzdem recht. Sie musste damit aufhören, sich ständig für andere ein Bein auszureißen. Offenbar gab es außer mir niemanden, dem sie so wichtig war, dass er ihr die Wahrheit sagte.
Bis zum Ende des Spiels sprach sie kein Wort mehr mit mir. Was wahrscheinlich ganz gut war, denn im
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