Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
Schulbank.
Da die Kollegen ohnehin am Morgen beschlossen hatten, während der Mittagspause auf dem Jahrmarkt zu essen – eine lange Tradition, die von Kluftingers Vorgänger irgendwann eingeführt worden war –, hatten sie sich mit den anderen um halb eins am Imbissstand verabredet. Maier war zeitgleich mit einem Foto von Wolfgang Schratt auf dem Markt unterwegs und versuchte, auf diese Weise bei den Schaustellern etwas mehr über ihn herauszufinden.
Junger Mann zum Mitreisen gesucht.
Dieser Satz klang wie aus einer anderen Zeit. Dabei war die Bude an sich gar nicht so schlecht in Schuss – eine glänzende Airbrush-Lackierung zeigte Westernszenen mit rauchenden Colts, und in der Mitte prangte in erhabenen Lettern, die aussahen, als wären sie aus Holz zusammengezimmert, der Schriftzug » RIFLE «.
Der Kommissar wandte sich an die gut fünfzigjährige Frau, die in dem Wagen vor all den Plastikblumen, die in den weißen Röhrchen steckten, saß und häkelte.
Als sie ihn sah, tönte sie: »Auweh, der Rosenkavalier von gestern! Haben Ihre beiden Damen schon wieder Verlangen nach frischen Blumen?«
Strobl zog die Brauen zusammen, doch Kluftinger winkte ab. »Entschuldigen Sie, wir sind von der Kriminalpolizei, ist denn der Herr Riefle da?«
Der Frau sah man die Strapazen eines Lebens auf Achse deutlich an. Lediglich die schwarzen, zum Zopf gebundenen Haare mochten nicht zu ihrer restlichen Erscheinung passen, gaben ihr fast indianische Züge. Sie legte ihre Handarbeit weg, zündete sich eine Zigarette an, saugte genüsslich daran und fragte dann mit belegter Stimme: »Der Herr wer?«
»Der Herr Riefle. Ich geh davon aus, dass das der Inhaber ist, oder nicht?«
Der Frau entfuhr ein krächzendes Lachen, das in heiseres Husten überging.
»Sie sind ja eine Marke! Rifle, das ist englisch und heißt Gewehr.«
Schnell sah der Kommissar zu Strobl, der etwas abgewandt vor sich hin grinste.
»Ich … logisch, das ist mir schon klar. Gewehr. Aber ich bin jetzt davon ausgegangen, dass der Inhaber eben durch Zufall … Wie heißt er denn dann?«
Die Frau aschte erst sorgfältig ab, bevor sie antwortete: »Er heißt Fink. Genauso wie ich, er ist nämlich mein Mann. Ich heiß Gertrud, er Wolfhart.«
Dabei wies sie auf ein Blechschild direkt über dem Stellenangebot, auf dem der gesamte Firmenname samt Inhaber und Adresse angegeben war.
»Wo ist er denn jetzt, Ihr Mann?«, hakte Strobl ungeduldig nach.
»Der ist hinten. Er putzt die Gewehre und macht ein paar Reparaturen. Aber gut, dass Sie gekommen sind. Wurde ja auch Zeit.«
Hatte Frau Fink mit ihrem Besuch gerechnet? Das kam dem Kommissar seltsam vor. Sie zwängten sich zwischen dem Wagen und einem Bauzaun durch, der mit einer Plane als Sichtschutz versehen war. Dahinter versteckte sich eine Art Parallelwelt: Abgeschirmt von den Blicken der Jahrmarktsbesucher hatte sich das Ehepaar Fink, so gut es ging, häuslich eingerichtet und einen Hinterhof auf Zeit angelegt. Der Boden bestand aus alten Paletten, über die ein grüner, ziemlich fleckiger Kunstrasen gespannt war, ein paar Blumentöpfe mit gerade erst gekeimten Pflanzen standen herum, unter einem Gartentisch lagen ein Sack Blumenerde und Päckchen mit Sämereien. Dem Zaun gegenüber, vor der offenen Eingangstür zu dem beige-goldenen Wohnwagen, stand eine Batterie Gartenzwerge in Reih und Glied. Über alldem war eine bunte Lichterkette montiert, die angesichts des geringen Lichteinfalls hier hinten anscheinend den ganzen Tag brannte. Auf einem Plastiktisch lagen einige Gewehre der Schießbude, ein Metallfläschchen, einige Lappen, Putzwolle, etwas Draht. Vom Inhaber jedoch keine Spur.
Der Geräuschpegel hier hinten war enorm: Das tiefe Brummen von Kompressoren, Stromerzeugern und Dieselmotoren bildete den Grundton, dazu kamen das Zischen und Pfeifen der großen Hydraulikanlage, die den »Fliegenden Teppich« durch die Luft wirbelte. Und immer wieder spitze Schreie aus der »Wilden Ratz« und den anderen Fahrgeschäften, dazu laute Musik und der gelangweilte Singsang der Anheizer in den Kassenhäuschen, die damit die Leute in ihre Höllenmaschinen locken wollten: »Kommense näher, steigense ein, hier geht es rund, hier geht es ab, hier macht es Spaß, hier bleibt kein Auge trocken. Jetzt noch zusteigen und dabei sein …«
»Herr Fink?«, rief Kluftinger laut, um diese verwirrende Kakophonie zu übertönen.
Kurz darauf kam hinter dem Wohnanhänger ein großgewachsener, kräftiger Mann hervor, das graue
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