Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
nur noch schnell eine Brotzeit für später, dann komm ich.«
»Die Brotzeit kannst du dir getrost sparen! Bis dann.«
Der Kommissar seufzte tief. Schon wieder ein Mord?
Die Brotzeit könne er sich sparen,
hatte Maier gewarnt. Kluftinger machte sich auf das Schlimmste gefasst und drückte noch ein bisschen mehr aufs Gaspedal.
Er musste nicht lange suchen: Als er in die Straße hinter dem Kemptener Kornhaus einbog, bot sich ihm ein bekanntes Bild: Streifenwagen, die Dienstwagen seiner Abteilung, der Erkennungsdienst. Die Uniformierten hatten das kleine Sträßchen abgesperrt. Der Kommissar stieg aus, grüßte wortlos mit einem Kopfnicken in die Runde und sah an dem Haus hinauf, vor dessen Eingangstür ebenfalls Beamte warteten: ein renoviertes altes Stadthaus, vier Stockwerke hoch, wie es einige hier in der alten Stiftsstadt Kempten gab. Er gab sich einen Ruck und trat in den Hausgang.
»Ganz oben, Herr Hauptkommissar«, gab ihm ein Polizist noch mit auf den Weg. Kluftinger entging nicht die seltsam gedrückte Stimmung, die hier herrschte. Dieser Eindruck verstärkte sich, als er den letzten Treppenabsatz erklommen hatte. Hefele stand an einem kleinen Gangfenster, er hatte sich abgestützt und atmete schwer.
»Servus, Klufti«, presste er hervor, als er sich umwandte, und fügte leichenblass hinzu: »Das ist nix für dich da drin, glaub’s mir!«
»Riecht’s schon?«
»Das nicht, muss heut Nacht passiert sein. Der Wohnungseigentümer. Aber ich sag dir: Da war ein Metzger am Werk.«
Kluftinger stieß die Luft aus, nahm all seine Professionalität als Polizist zusammen, zog sich Überschuhe und Latexhandschuhe an, die in Kartonspendern vor dem Eingang bereitlagen, und drückte die Wohnungstür auf. Das Schloss war intakt, keine sichtbaren Einbruchsspuren, notierte er im Geiste. Also hatte das Opfer möglicherweise den oder die Täter gekannt. Drinnen erwarteten ihn ein heller Flur, moderne Holzdielen, Glastüren, weiß verputzte und gekalkte Wände. Eine so moderne, nüchterne Wohnung hatte er hier in der verwinkelten Altstadt nicht vermutet. Er blickte die Korridorflucht entlang. Sie mündete in einen großen Raum, wahrscheinlich das Wohnzimmer, von dem aus eine Tür auf eine große Dachterrasse führte. Davor zeichneten sich unter einer weißen Plane die Umrisse eines Körpers ab. Wie ferngesteuert ging Kluftinger den Gang entlang. Er nahm nur am Rande wahr, dass in der Küche, die als erster Raum links abging, einige Kollegen vom Erkennungsdienst standen und ihn mit leeren Augen ansahen.
Aus einem Raum rechts des Korridors trat Eugen Strobl.
»Wer?«, fragte Kluftinger bloß.
»Christian Hübner. Hat hier allein gewohnt. Ledig, neununddreißig. Versicherungsmakler. Seine Freundin versuchen wir gerade zu erreichen. Keine Einbruchsspuren, aber das hast du wahrscheinlich schon gesehen.«
»Mhm. Wie?«
»Schau’s dir besser nicht an, Klufti. Das ist … wie soll ich sagen: So was haben wir alle noch nie gesehen.«
»Jetzt red nicht groß rum, ich will mir selber ein Bild machen.«
Kluftinger wunderte sich über sich selbst. Auf einmal glaubte er seine Leichenunverträglichkeit besiegt – nun stand der Polizist im Vordergrund, der seine Pflicht zu tun hatte. Vielleicht auch, weil er mit sich selbst im Moment so viel zu tun hatte, Sterblichkeit auf eine unerwartete Art ein greifbares Thema geworden war. Dennoch wurde ihm ein wenig flau, als er die riesige Blutlache sah, die sich unter dem Leichnam gebildet und das rauhe Parkett getränkt hatte.
Erschrocken kam Richard Maier vom großen Panoramafenster, das den Blick auf die Basilika Sankt Lorenz und das Kornhaus freigab, auf ihn zugestürzt.
»Nicht, Chef. Das ist heftig, echt!«
»Schon vom Feinen, ja«, pflichtete ihm auch Willi Renn bei, der auf dem Boden kniete und mittels einer Spezialfolie eine Fußspur sicherte. »Ich hab schon Fotos auf dem Laptop, wenn du dir das live nicht antun willst …«
Kluftinger machte eine wegwerfende Handbewegung und bedeutete einem von Willis Kollegen, die Plane vom Körper des Toten zu heben. Der Kommissar riskierte einen schnellen Blick. Und erkannte einen Mann, dessen gesamter Oberkörper über und über mit Blut besudelt war. Der Kopf lag schräg, das Gesicht zu Kluftingers Erleichterung von ihm weggedreht, als wolle der Ermordete noch einmal die beeindruckende Aussicht von seiner Dachterrasse über die Kemptener Innenstadt genießen.
Dann wandte Kluftinger sich ab. Mit aller Gewalt versuchte er,
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