Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
sich vorstellen, wer … also, hatte Herr Doktor Steiner denn Feinde?«
»Nein, im Gegenteil, er war sehr beliebt.«
»Bei wem denn?«, wollte Kluftinger wissen.
Der Mann sah ein wenig verwirrt drein, dann aber antwortete er: »Nun, er hatte einen großen Freundeskreis. Ich habe Ihren Kollegen schon die wichtigsten Namen genannt, die mir eingefallen sind. Er war auch im Segelclub, Rotary, all so was. Allerdings hatten wir nicht allzu viele gemeinsame Bekannte.«
»Haben Sie denn nicht mit ihm hier gewohnt?«
»O nein, wo denken Sie hin.«
»Was soll das denn heißen?«
»Na, Gordian wollte mit Rücksicht auf seine Karriere ein eher … unauffälliges Liebesleben führen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und bei mir ist es dasselbe gewesen. Es gibt leider noch immer Menschen, die mit unserem Lebenswandel so ihre Probleme haben. Vor allem hier, im ländlich geprägten Raum.«
»Ist nicht wahr!«, entgegnete Kluftinger ein bisschen zu schnell.
»Haben Sie sich nicht gewundert, dass er so lange nichts hat von sich hören lassen?«, wollte Maier wissen.
»Nein, eigentlich nicht. Wir hatten eine offene Beziehung. Nichts, was den anderen einengen würde, wissen Sie?«
Kluftinger nickte mechanisch.
»Aber Sie waren schon sein einziger … Freund, oder? Also,
so
ein Freund … halt, ich meine …«
»Ja, ja, die wilden Jahre hatten wir hinter uns. Er war es, der in den letzten Wochen gemeinsame Zukunftspläne geschmiedet hat. Ich war da zurückhaltender.«
Die Lippen des Mannes bebten.
»Haben Sie dann so eine Art … Doppelleben geführt?«, hakte Kluftinger ein.
Kreißler schüttelte energisch den Kopf. »Nein, das nicht. Ich habe es nie thematisiert, zu Hause. Für meine Eltern bin ich nach wie vor der Junggeselle, dem eben keine Frau gut genug sein konnte. Ich bitte Sie: Lassen Sie meine Familie aus dem Spiel, was das angeht, ja?«
»Das heißt, Sie mussten Ihre Beziehung zu Doktor Steiner immer verleugnen?«, wollte Maier wissen.
»Nein, verleugnet habe ich ihn nie. Wir haben wie gesagt nicht weiter darüber gesprochen. Ich hatte ja viele Bekannte, einer davon war für meine Eltern eben Gordian, von dem sie wussten, dass wir oft etwas zusammen unternommen haben. Gerade erst letzte Woche waren wir verreist. Zehn Tage Griechenland. Die Inseln. Das Meer. Und wir beide.« Ein sanftes Lächeln umspielte bei dieser Erinnerung die Mundwinkel des Mannes.
»Jedenfalls arbeitete Gordian nach dem Urlaub immer bis zum Umfallen. Da brauchte ich ihn gar nicht zu stören, das wusste ich. Am Montag haben wir uns zuletzt gesehen. Aber wir waren für heute Nachmittag …« Seine Lippen bebten wieder.
»Ja, ist schon gut. Vielleicht … setzen Sie sich ein bissle.« Kluftinger schob ihm unbeholfen einen der Gartenstühle hin, auf den Kreißler sich weinend niederließ. Kluftinger sah ihn eine Weile an. Sein Weinen steigerte sich immer mehr zu einem herzzerreißenden Schluchzen. Schnell hob der Kommissar die Hand zum Gruß. »Wir müssen dann auch wieder. Wir melden uns bestimmt noch einmal bei Ihnen. Die Kollegen werden eh alles … Wichtige … pfiagott dann, gell?«
Ohne die Kollegen noch eines weiteren Blickes zu würdigen, zog er Maier mit sich, und sie gingen wortlos durch den Garten. Als sie beim Auto angekommen waren, deutete Kluftinger noch einmal mit dem Kopf in Richtung Terrasse, wo sie Marius Kreißler nun ebenfalls eine Zigarette rauchen sahen.
»Meinst du, das alles hat was
damit
zu tun?«
»Mit seinem netten Haus am See?«
»Nein, Schmarrn, ich mein damit …«
»Mit der Raucherei?«
»Herrgott, mit dem … Dings!«
»Womit denn jetzt?«
»Ja, jetzt komm, du weißt schon. Dass er halt, ich mein, mit Männern …«
Maier schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Hättest du das auch gefragt, wenn er verheiratet gewesen wäre?«
»Ja, nein, ich mein … schon«, wand sich Kluftinger. »Ich hab ja kein Problem damit, aber man weiß ja nie. Wir müssen auf jeden Fall schauen, ob der Versicherungsmann auch …«
»Der hatte doch eine Freundin.«
»Ja, vielleicht … auch so eine Art Doppelleben. Man glaubt nicht, was es alles gibt!«
»Nein, das glaubt man manchmal wirklich nicht.«
Kluftinger wunderte sich, dass schon kurze Zeit nachdem sie wieder in Kempten eingetroffen waren, auch die Kollegen aus Lindau mitsamt dem halben Hausstand von Gordian Steiner im Gepäck ankamen. Sie trugen eine Menge Kisten in einen Besprechungsraum. Schließlich begannen sie damit, sich die
Weitere Kostenlose Bücher