Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
gefunden hatten, an der der Platz frei einsehbar war. Kluftinger schaute auf die Uhr: zwei Minuten vor Steiners Eintreffen.
»Nichts zu sehen«, sagte Frau Buhmann anerkennend. »Herr Kommissar, das nenn ich mal gute Augen!«
»Ich wusste, was ich suchen musste«, wiegelte der Kommissar ab.
»Nein, nein«, protestierte Maier. »Wie der Eugen neulich gesagt hat: Manchmal weiß man nicht, wo du’s hernimmst.«
Sie brauchten nur zehn Minuten von der Tankstelle bis zur Wohnung des Arztes. Maier hatte sie mittels seines Smartphones dorthin navigiert. Sie hatten die Aufgabe, sich dort umzusehen, eigentlich an den Einsatzzug delegiert. Da sie jedoch schon in der Nähe waren, hatten sie beschlossen, noch vorbeizufahren, denn Kluftinger war es lieber, sich die Dinge vor Ort selbst anzusehen – zu Recht, wie sich eben in der Tankstelle gezeigt hatte.
Allein der Anblick des Anwesens, in dem der Arzt residiert hatte, war den Weg wert gewesen, fand Kluftinger. Sicher, er hätte anders gebaut, nicht so modern, so würfelig, wie es zurzeit gerade hier im Bodenseeraum Mode war. Aber schon die Lage des Grundstücks war spektakulär: Nur eine schmale Straße trennte es vom See. Überquerte man diese, hatte man Zugang zu einem kleinen Privatstrand, an dessen Steg ein Motorboot festgemacht war. Kluftinger wunderte sich nicht, dass Doktor Steiner dafür in Kauf genommen hatte, täglich rund vierzig Kilometer zu seiner Arbeitsstelle in Oberstaufen fahren zu müssen. Hier hätte er es auch ausgehalten.
Sie gingen durch den Garten auf die Terrassentür des nahezu vollständig verglasten Hauses zu, in dem sich ihnen das gewohnte Bild bot: Ein paar Kollegen sahen die Papiere durch, andere begutachteten die Schränke; im und ums Haus wurde nach möglichen Hinweisen auf die Tat gesucht; auf den angrenzenden Grundstücken und auf der Straße wurden Nachbarn und Passanten befragt.
»Habt’s ihr schon einen Durchsuchungsbeschluss?«, fragte Kluftinger einen der Beamten, der auf der Terrasse stand und eine Zigarette rauchte. Er kannte den Mann nicht, aber er musste aus dem Einsatzzug sein, der ihnen bei der Spurensicherung half.
Der Beamte schüttelte den Kopf: »Nein, die Schwester hat uns die Erlaubnis erteilt. Euer Strobl hat sie erreicht.«
»Ist sie da?«, fragte Maier schnell.
»Die wohnt irgendwo in Norddeutschland. Aber
er
ist da.« Er zeigte auf einen Mann um die vierzig, der nun durch die Schiebetür trat und sich lautstark die Nase putzte. Als er fertig war, erkannte Kluftinger, dass seine Augen gerötet und feucht waren.
»Sind Sie dann der Bruder?«, fragte Kluftinger.
Der Mann blickte ihn verwirrt an. »Wieso Bruder? Gordian hatte gar keinen Bruder.«
»Ach so, ich dachte … wegen der Schwester.«
Der Beamte drückte seine Zigarette in einen kleinen Aschenbecher, den er anschließend in seiner Jackentasche verschwinden ließ, beugte sich zu Kluftinger und erklärte: »Er hatte nur die Schwester. Sie ist die nächste noch lebende Verwandte.«
»Verstehe. Und wer sind dann Sie?«, wandte er sich wieder an den Mann.
»Ich bin sein Freund. Marius Kreißler.«
»Ach so. War Doktor Steiner denn nicht verheiratet?«
Die Augen des Mannes funkelten ihn feindselig an: »Wie gesagt: Ich bin … war … sein Freund.«
»Ja, ist ja gut, ich hab’s verstanden. Dann wissen Sie doch bestimmt, ob der Herr Doktor eine Frau … Freundin oder so …«
»
Ich
war seine Freundin.«
Erstaunt blickte Kluftinger zu Maier, der ihn bereits vielsagend angrinste. Dann verstand auch er. »Ach … so. Jetzat, ja freilich. Mei, dann …«
Er schluckte. Sofort hatte er jegliche Unbefangenheit verloren. Den Umgang mit Hinterbliebenen von Mordopfern war er inzwischen gewohnt, sogar den mit den Tätern. Aber mit Männern, die … nicht, dass er etwas dagegen gehabt hätte, sich irgendein Urteil erlaubt hätte, also, jeder nach seinen Vorlieben, noch dazu: Er kannte ja jemanden, der … vielleicht … man munkelte, Möbius, der Staatsanwalt habe gewisse Neigungen, die …
Er blickte Maier eindringlich an, und der sprang ihm tatsächlich bei: »Wo waren Sie denn zur Zeit des Mordes?«
Sofort begann der Mann erneut zu schluchzen.
Priml,
das hatte Mister Einfühlsam ja wieder gut hingekriegt, dachte Kluftinger und übernahm wieder. »Woher kommen Sie?«
»Bregenz.«
»Und was machen Sie beruflich?«
»Ich arbeite in einem großen Speditionsbetrieb.«
Die Fragen nach seinem Alltag schienen ihn zu beruhigen. »Können Sie
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