Herzen aus Asche
Lächeln ab.
»Weshalb bist du dort oben gewesen?«, fragte er, nun in deutlich milderem Tonfall.
»Ich habe mich gefürchtet! Ich habe im gesamten Haus die Lampen eingeschaltet, weil ich wissen wollte, ob noch jemand - oder schlimmer: noch etwas - hier ist. Weshalb reagierst du so empfindlich?«
Leif räusperte und senkte den Blick. Man merkte ihm deu tlich an, wie es in seinem Gehirn arbeitete. »Es liegen eine Menge sehr persönlicher Dinge dort oben, das ist alles.«
»Ich habe nichts angerührt«, log Amelie. Sie wollte ihn weder verärgern noch beschämen. »Nichtsdest otrotz kann ich nicht länger allein hier bleiben.«
Ein Ausdruck des Entsetzens huschte über das G esicht des jungen Mannes. »Du möchtest ausziehen?«
»Ich kann doch nicht hier wohnen, wenn um mich herum alles zerfällt! Ich glaube nicht an Spuk, aber der heutige Tag lässt mich in meinen Ansichten wanken. Vielleicht leben die Seelen der Verstorbenen noch i mmer hier.« Sie senkte die Stimme, bis sie nur noch ein Flüstern war.
»Die Seelen der Verstorbenen?« Leif zog die Auge nbrauen zusammen. »Willst du mir damit sagen, dass meine Eltern hier mit den Ketten rasseln? Hast du mal darüber nachgedacht, wie ich mich dabei fühle?«
Amelie fuhr angesichts seines plötzlichen Wutau sbruchs ein Schreck durch die Glieder. Sie hatte etwas sehr Dummes gesagt, und Schamesröte stieg ihr ins Gesicht. »Es tut mir leid, ich wollte deine Eltern nicht beleidigen. Aber ich habe keine andere Erklärung für die Vorkommnisse.«
»Außer uns beiden spukt garantiert niemand durch dieses Haus. Wie ich b ereits sagte, sind die Möbel alle sehr alt. Vielleicht haben sie in der Vergangenheit ein Feuer überstanden, wurden halbherzig restauriert und zersetzen sich jetzt allmählich. Aber ich verspreche dir, dass von der Villa keine Gefahr für dich ausgeht.« Er trat einen Schritt näher an sie heran, legte ihr nun beide Hände auf die Schultern und sah mit einem Blick auf sie hinab, der ihr einen Schauder über den Rücken jagte. Leif wirkte ernsthaft verzweifelt. »Ich verspreche es dir hoch und heilig, aber du darfst nicht gehen. Bitte.« Er klang beinahe flehend.
Amelie rang nach Worten. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Es schnürte ihr den Hals zu. Erst nach einer längeren Pause schaffte sie es, sich zu räu spern und weiterzusprechen. »Wenn du mir erlauben würdest, Freunde einzuladen oder mit jemandem gemeinsam hier zu wohnen, würde es mir nicht nur die Arbeit im Haus erleichtern, sondern mich auch sehr beruhigen. Die Villa ist riesig, weshalb muss ich mich allein darum kümmern?«
Leif biss sich auf die Unterlippe. Sein Blick zuckte von rechts nach links. Er seufzte. »Es geht nicht. Dass übe rhaupt jemand hier lebt, sollte sich nach Möglichkeit nicht im Dorf herumsprechen. Es ist riskant.« Er seufzte erneut. »Und es ist auch aus einem anderen Grund nicht möglich. Ich kann es dir nicht erklären. Noch nicht.«
»Du sprichst in Rätseln.« Amelie spürte eine Blase der Entrüstung in sich aufsteigen. »Ich habe ein Recht, es zu erfahren. Und weshalb soll ni emand wissen, dass die alte Villa wieder bewohnt wird?«
»Die Menschen sind abergläubisch. Außerdem ...« Er warf ihr einen so verzweifelten Blick zu, dass Am elies Herz ihr bis zum Hals schlug. »Außerdem ist der Strom offiziell abgeklemmt worden. Schon vor langer Zeit.«
»Das heißt, du stiehlst den Strom? Leif, das kann doch wohl nicht wahr sein!« Amelie stieß seine Hände von ihren Schultern. Sie konnte kaum glauben, was er erzäh lte. »Jetzt wird mir einiges klar. Du hast kein Geld, um das Haus von Fachleuten restaurieren zu lassen. Aber weshalb verlangst du dann keine Miete? Bist du arbeitslos? Du hast mir erzählt, du arbeitest freiberuflich.«
»Sozusagen.«
»Zieh doch selbst hier ein, melde den Strom an und vermiete das obere Geschoss. Das wäre doch eine gute Lösung, oder etwa nicht?«
»Amelie, es geht nicht!« Er klang flehend, und so b edingungslos ehrlich, dass sie Mühe hatte, ihren Zorn aufrecht zu erhalten.
Eine Weile lang schwiegen sie. Amelie wollte g ehen, wollte Leif allein lassen mit seinen Problemen, aber sie konnte es einfach nicht. Mannigfaltige Emotionen kochten in ihr auf, aber sie fühlte sich nicht imstande zu handeln. Es war, als hielte sie etwas wie ein Magnet an Ort und Stelle. Weshalb musste alles so kompliziert sein? Sie kannte Leif kaum, und sie sollte sich nicht für seine kriminellen Machenschaften interessieren.
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