Herzen aus Asche
den ausgetrockneten Teich zu. Er war oval und maß an der breitesten Stelle nicht mehr als drei Meter. Sie schätzte, dass ihr das Wasser bis zum Bauchnabel gereicht hätte, wenn welches darin gewesen wäre.
Amelie spürte, wie Leif ihr von hinten eine Hand auf die Schulter legte. Sie hörte ihn schwer atmen, drehte sich jedoch nicht zu ihm um. Sie fürchtete sich vor der Traurigkeit in seinem Blick.
»Meine Eltern sind hier gestorben.« Seine Stimme war leise und rau, kaum mehr als ein Flüstern.
»Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht magst.«
»Schon in Ordnung. Es war ein Fehler, so lange nicht hierher gekommen zu sein. Ich hätte mich viel eher damit auseinandersetzen müssen.« Er schniefte und Amelie wusste, dass er mit den Tränen rang. Sie gab sich einen Ruck, drehte sich zu ihm um und nahm seine Hand.
»Lass uns gehen. Ich rechne dir hoch an, dass du mir diesen Ort gezeigt hast.« Sie klang nicht halb so selbsts icher wie sonst. Ihre Kehle schnürte sich zu.
»Ich möchte noch ein bisschen hier bleiben. Wir kön nten uns auf die Bank setzen.«
Amelie nickte widerwillig. Ihr wäre lieber gewesen, sie hätten diesem schauerlichen Ort den Rücken g ekehrt. Noch vor wenigen Minuten war sie entschlossen gewesen, die Villa auf der Stelle und für immer zu verlassen, aber sie fühlte sich nicht imstande, Leif allein zurückzulassen und ihm diesen Wunsch auszuschlagen.
Sie nahmen auf der Bank Platz, Leif stützte die Elle nbogen auf die Knie und lehnte sich nach vorne. Seine dunklen Haare hingen wie ein Vorhang vor seinem gesenkten Kopf. »Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich dir keinen perfekten Garten zeigen konnte. Ich hätte mir denken sollen, dass es nach über einem Jahr nicht mehr so aussieht wie früher.«
»Mach dir keine Gedanken deshalb.« Amelie verspü rte den Wunsch, aus der Situation zu fliehen, weil sie nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte. Sie wollte ihm helfen - aber wie? Stattdessen faltete sie die Hände im Schoß und sah auf ihre Fußspitzen hinab. Nie zuvor hatte sie einen derart seltsamen Abend erlebt. Erschöpfung fraß sich durch jede Faser ihres Körpers.
Leif lehnte sich zurück und sah mit starrer Miene g eradeaus, kein Muskel regte sich in seinem Gesicht. Es schien, als sei er tief in seine Gedanken versunken. Amelie betrachtete sein Profil, und ihr Herz machte einen Sprung. Seine makellose glatte Haut hatte die Farbe von Elfenbein, seine blauen Augen glänzten feucht. Die kräftigen gepflegten Hände ruhten in seinem Schoß, er atmete ruhig. Flüchtig streifte sie der Gedanke, was ihre Mutter von ihr denken würde, wenn sie gewusst hätte, dass ihre Tochter mit einem Fremden allein in einem riesigen Haus, irgendwo im Nirgendwo, auf einer Bank saß. Und das um diese Uhrzeit!
»Es kommt mir vor, als wäre es schon eine Ewigkeit her«, sagte Leif geda nkenverloren, als spreche er eher zu sich selbst als mit Amelie. »Zeit hat jegliche Bedeutung für mich verloren.«
»Wovon sprichst du?«
Er wandte ihr langsam den Kopf zu. »Vom Tod meiner geliebten Eltern. Sie sind ertrunken, hier im Teich.«
Amelie nickte. Sie wollte ihn nicht mit Fragen qu älen, obwohl ihr mehr als eine auf der Seele brannte. Doch Leif sprach weiter. Amelie unterbrach ihn nicht.
»Selbstmord, zumindest glaubt es die Polizei. Die E rmittlungen sind eingestellt worden. Man hat keine Einbruchspuren gefunden, keine Fingerabdrücke, nichts. Sie sind einfach ertrunken.«
»Warst du ihr einziges Kind?«
Er nickte. »Es gab für sie einen guten Grund, mit dem Leben abschließen zu wollen. Sie haben so sehr gelitten, und ich konnte ihnen nicht helfen. Ich bin in ihrer schwersten Stunde nicht hier gewesen, und lange habe ich an einem Selbstmord gezweifelt.« Er senkte den Blick und schwieg.
Amelie räusperte sich. Plötzlich fielen ihr wieder die Ereignisse ein, wegen derer sie das Haus hatte ve rlassen wollen.
»Wie soll es weitergehen, Leif? Ich habe Angst. Ich kann nicht hier ble iben. Allein die vage Möglichkeit, es könnte hier spuken, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.«
Er hob den Kopf, und in seinen Augen lag ein Au sdruck, der Amelies Knie zittern ließ - eine Mischung aus Zärtlichkeit und Verzweiflung. »Du bist eine ganz besondere junge Frau, das spüre ich genau.« Er lächelte und ging über ihre Worte hinweg. »Ich bin mehr als glücklich, dass ausgerechnet du meine Annonce gefunden hast. Du kannst dir meine Verzweiflung nicht vorstellen.«
»Dann erkläre sie mir.
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