Herzen aus Asche
Natürlich.
Amelie rieb sich verschlafen über das Gesicht. »Ich habe dasselbe von dir gedacht. Ich bin froh, dass du hier bist.«
Leif strich ihr über den Kopf. »Mir kann nichts passieren, Amelie. Aber ich fürchte, Sjadvir hat mich für immer aus seiner Welt verbannt, ich kann ihn nicht mehr fühlen. Ich war krank vor Sorge um dich. Ich kann dich nie wieder dorthin zurückbringen, er hat sich für mich unsichtbar gemacht.«
Amelie setzte sich auf. Sie trug noch immer ihre Klamotten vom Vortag. Sie stand auf und streifte sich die Kleidung ab. Sie war sich darüber bewusst, dass Leif jede ihrer Bewegungen verfolgte, aber es störte sie nicht. Sie hatte keine Geheimnisse mehr vor ihm.
»Wir müssen auch nie wieder zurück zu Sjadvirs Küste. Ich habe alles erfahren, was ich wissen musste. Und er war so nett, mich anschließend zurück ins Diesseits zu schubsen.« Sie drehte sich zu Leif um und gab sich keine Mühe, ihre Blöße dabei zu bedecken. »Und wie du siehst, bin ich nicht einmal wahnsinnig geworden. Hoffe ich zumindest.« Sie grinste breit. Sie war so unendlich froh, dass sie und Leif wohlbehalten den Weg zurück gefunden hatten, dass eine große Last von ihr abfiel. »Aber ich muss zugeben, dass die ganzen neuen Eindrücke mich schon ein wenig überfordern, und auch das grenzt fast an Wahnsinn.« Sie öffnete die verbliebene Schranktür, die noch nicht zu Asche zerfallen war und nahm sich ein frisches Shirt und eine saubere Hose heraus.
»Dann bist du nicht wütend auf mich?«
Amelie sah zu Leif herüber, der zusammengesunken auf der Bettkante kauerte und schuldbewusst dreinblickte. Sie streifte sich die Kleidungsstücke über und setzte sich neben ihn. »Aber natürlich nicht! Immerhin ist es doch meine Idee gewesen, ich habe dich dazu gedrängt. Wir haben es beide unbeschadet überstanden und zusätzlich bin ich an wertvolle Informationen gelangt.«
Sie erzählte Leif alles, was sie in der Hütte des alten Geistes erlebt hatte. Von seiner Sehnsucht, sie zu berü hren und über die Dinge, die er ihr über die Draugar erzählt hatte. Und natürlich auch das, was er über Leif gesagt hatte. Dieser presste den Mund zu einem schmalen Strich zusammen. Man merkte ihm deutlich an, dass er seine Wut unterdrückte.
»Er tut gerade so, als hätte ich mir das hier ausg esucht.« Leif krempelte seinen Hemdärmel hoch und hielt Amelie sein Runenabzeichen unter die Nase. »Ich wollte nie ein Draug werden, ein Wiedergänger. Ich habe meine Eltern verloren, und vermutlich habe ich die ganze Zeit über gespürt, dass weder ihr Tod noch mein eigener einer natürlichen Ursache zuzuschreiben war. Ich wollte das Diesseits nicht verlassen, habe mich unbewusst daran festgehalten.«
»Hältst du es für möglich, dass deine Seele Friede n findet, wenn wir den Fall aufklären?« Ein Schreck fuhr Amelie in die Glieder. Sie wollte Leif nicht aufgeben, auch wenn es zutiefst egoistisch von ihr war, ihn bei sich halten zu wollen.
Er zuckte die Achseln. »Ich weiß im Prinzip übe rhaupt nichts über mich. Es wäre möglich, aber verlassen möchte ich mich nicht darauf.« Bitterkeit lag in seinen Worten. Er wandte Amelie den Kopf zu und seine Miene entspannte sich. Stattdessen huschte nun Traurigkeit über sein Gesicht. »Selbst, wenn die Aufklärung meines und des Todes meiner Eltern mir Frieden verschaffen sollte, habe ich mir doch zugleich einen neuen Grund gegeben, an meinem Dasein festzuhalten. Dich.« Er beugte sich vor, legte eine Hand in Amelies Nacken und zog sie zu sich heran, bis ihre Lippen sich berührten. Obwohl Amelie wusste, dass es für einen Draug einer Qual gleichkam, auf immer und ewig ein Grenzwanderer zu sein, fühlte sie sich erleichtert. Ein schlechtes Gewissen streifte sie. Sie durfte nicht nur daran denken, was gut für sie war, sondern was Leif bis ans Ende aller Tage würde erdulden müssen.
Sie sog seinen Duft ein, und die Hitze seines Kusses ließ sie erschaudern. Als er sich von ihr löste, fühlte sie einen kurzen Stich des Bedauerns. Sie musste vernün ftig sein, es gab Wichtigeres im Moment.
»Was glaubst du, können wir aus unseren Erkenntni ssen schließen?«, fragte er.
Amelie strich sich die zersausten Haare zurück und seufzte. »Ich halte es für möglich, dass jemand die B eschwörungsformel angewandt haben könnte, um sich mit Loan zu verbinden. Der Zauber hat ihm die Kraft verliehen, immer und überall Gestalt anzunehmen. Ohne die Unterstützung eines Lebenden wäre ein Draug
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