Herzen aus Asche
er will. Er kann nicht einmal das Haus verlassen, und körperliche Gestalt anzunehmen, entzieht seiner Umgebung Energie. Alles zerfällt um ihn herum.«
Sjadvir schnaubte. »Es ist nun einmal so, dass nichts aus sich selbst heraus entsteht. Von irgendwo her muss die Energie schließlich kommen. Und auch deshalb kann ich das krampfhafte Festhalten am Diesseits nicht gutheißen. Es zerstört mehr als dass es nützt.«
»Gibt es eine andere Möglichkeit für einen Draug, Gestalt anzunehmen?« Hätte Amelie ihren Herzschlag gespürt, hätte er sich sicherlich jetzt beschleunigt. Um Sjadvir zu einer Antwort zu bewegen, beugte sie sich im Stuhl nach vorne und berührte mit den Fingern leicht seinen Handrücken. Seine Augen leuchteten, als könnte er nicht fassen, von etwas Lebendem berührt worden zu sein.
»Du fragst genau den Richtigen, Schätzchen.« Er warf ihr einen Blick zu, den man gut und gerne als lüstern hätte bezeichnen können, doch Amelie ließ sich davon nicht aus der Bahn werfen. »Meine Landsmänner erzählten sich, man könne sich die Draugar durch Beschwörungen dienstbar machen, Odin soll hierin Meister gewesen sein. Es gibt auch bannende Runen, die ihn davon abhalten sollen, aus dem Grab zu steigen.« Er senkte bedeutungsvoll die Stimme, und man merkte ihm deutlich an, dass er sich selbst gerne sprechen hörte. Kein Wunder, wenn man über Jahrhunderte hinweg allein im Jenseits gelebt hatte.
»Ich hätte Leif gerne auf solche Gefahren aufmerksam gemacht, aber er wollte mir nie zuhören.«
»Gibt es solche Beschwörungsformeln tatsächlich?«
Sjadvir kratzte sich am Kopf. Er machte eine Geste in Richtung des Kaminfeuers, woraufhin es höher und krä ftiger brannte. Amelie stutzte, machte sich dann jedoch wieder klar, dass sie sich in seiner Traumwelt befand.
»Ich weiß nicht, ob die Formeln die Jahrtausende
überdauert haben oder ob sich je jemand die Mühe gemacht hat, sie zu übersetzen. Woher auch? Ich habe zuletzt vor über tausend Jahren einen Fuß in deine Welt gesetzt.«
»Was passiert, wenn ein Mensch einen Draug b eschwört?«
Sjadvir hob tadelnd den Zeigefinger und grinste Am elie an, wobei er zwei fehlende Zähne offenbarte. »Du bist aber ganz schön neugierig.«
Wieder berührte Amelie ihn an der Hand, und wieder zeigte sich derselbe sehnsuchtsvolle Ausdruck in seinem Gesicht. »Wenn Leif dir schon nicht zuhören wollte, möchte ich es wenigstens tun.« Sie rang sich das netteste Lächeln ab, das sie zustande bringen konnte.
Sjadvir errötete erneut, und Amelie glaubte, seinen wunden Punkt getroffen zu haben. Er fühlte sich geschmeichelt.
»Die Anrufung eines Wiedergängers ist mit Risiken behaftet. Man muss sich dem Geist zur Gänze verschre iben, sich selbst sogar aufgeben«, fuhr er fort, und er betonte seine Worte, als erzählte er einem Kind ein Märchen. Amelie schmunzelte in sich hinein, unterbrach ihn jedoch nicht.
»Es ist eine höchst verwerfliche Angelegenheit. Der Geist bezieht seine Energie von nun an aus dem menschlichen Nährer, und dieser verspricht sich Unsterblichkeit von der Verbindung. Ich kann dir allerdings nicht sagen, ob ein Körnchen Wahrheit darin steckt. Meiner Ansicht nach ist es kein Handel zwischen Gleichgestellten, denn der Geist wird immer als Sieger daraus hervorgehen. Es versetzt ihn in einen Zustand zurück, der dem eines Lebenden erschreckend nahe kommt. Er übertritt die Grenze zum Diesseits beinahe zur Gänze, weil er sich an seinen Nährer krallt und ihn aussaugt wie eine Frucht. Der Geist wird zum Parasiten, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch das beabsichtigen könnte. Nicht umsonst ist das Draugedrot , das Geisterheer, Odin vorbehalten. Nur er kann sie beherrschen. Leider ist es so, dass die meisten Draugar diese Verbindung irgendwann anstreben, gar danach lechzen. Ich wollte Leif davor warnen, denn wenn der Nährer stirbt, wirft es den Geist an einen Ort im Jenseits, der ihm große Qualen verspricht.«
»Gibt es eine Möglichkeit für den Nährer, wie du ihn nennst, die Verbindung wieder zu unterbrechen?«
»Das kann ich dir wirklich nicht sagen. Die alten Legenden meines Volkes äußern sich nicht dazu. Vielleicht ist der Tod die einzige Erlösung, die er dann noch finden kann.«
Sjadvir streckte seine Hand aus, und nur einen Seku ndenbruchteil später erschien ein einfacher hölzerner Kelch zwischen seinen Fingern. Er nahm einen Schluck daraus.
»Auch etwas Met?«
»Nein, danke.« Amelie rutschte auf ihrem
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