Herzen aus Asche
zurück zu kommen. Aber das konnte sie nicht. Zudem musste sie nun davon ausgehen, dass der unbekannte Geisterbeschwörer wusste, wer sie war - dass Loan wusste, wer sie war. Er kannte die Villa, hatte dort bereits getötet. Und er würde zurückkommen, um sein Werk zu vollenden. Er betrachtete Amelie als einen Störenfried, als eine lästige Fliege, die es zu zerquetschen galt, da war sie sich vollkommen sicher. Sie hätte sich aus der Angelegenheit heraushalten sollen, als sie noch die Gelegenheit hatte. Jetzt war es zu spät. Leif konnte sie nicht beschützen. Apropos Leif ... Amelie setzte sich im Bett auf.
»Leif? Leif!« Sie rief nach ihm, aber nichts bewegte sich, es blieb still. Ihr kam der Gedanke, ihn einfach a nzurufen, wie er es vorgeschlagen hatte. Ach nein. Das Handy. Es lag auf dem Grund des Sees und über einen Telefonanschluss verfügte die Villa nicht. Verdammt. Welche Möglichkeiten gab es noch, Leif zu rufen? Sicherlich war er noch immer schwach. Er hatte sich in letzter Zeit zu oft im Diesseits aufgehalten. Amelie streifte ein schlechtes Gewissen, immerhin war sie der Hauptgrund, weshalb er so oft auftauchte. Folglich trug sie auch die Schuld an dem Verfall der Villa ... Sie fühlte sich hundeelend.
Amelie lehnte sich nach vorne, ließ die Beine über die Bettkante baumeln, stützte die Ellenbogen auf die Knie und legte den Kopf in ihre Hände. Ihre Haare waren noch leicht feucht. Immerhin hatte sie sich die Dusche gespart, dachte sie verbittert. Sie sehnte sich danach, mit jemandem zu sprechen. Wäre doch bloß S ara hier! Sie würde Amelie mit ihrer unkomplizierten Art aufmuntern und ablenken.
Angst fraß sich wie Säure durch ihre Seele, wie eine schwärende Wunde. Jemand trachtete ihr nach dem Leben. Sollte sie nun doch zur Polizei gehen? Sie würde sich wie eine Verrückte anhören. Jemand hatte sich einen Spaß erlaubt und sie ins Wasser gestoßen, so würden sie argumentieren. Amelie konnte ihnen unmöglich von ihrer Angst vor bösen Geistern erzählen. Sie säße umgehend in einer psychiatrischen Klinik.
Sie rang die Verzweiflung nieder. Sie wollte heulen und schreien, wusste aber, dass es ihre Situation mitnichten verbessern würde.
Sie hob den Kopf. Ihr Blick fiel auf das Witchboard, das neben dem Kleide rschrank an der Wand lehnte. Mit diesem gottverfluchten Teil hatte der ganze Spuk damals angefangen! Weshalb war dieses Ding noch immer nicht zu Asche zerfallen? Darum wäre es nicht einmal schade gewesen.
Während Amelie es anstarrte, gingen ihre Gedanken auf Wanderschaft. Sie ve rsuchte, sich daran zu erinnern, wie ihre erste Begegnung mit einem Geist vor zwei Jahren verlaufen war. Das Brett hatte ihnen die Worte Berg und Tod gezeigt, und das Poster der Mona Lisa hatte ihr anschließend unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass der Geist die Hügelgräber in Alt-Uppsala gemeint hatte. Amelie hatte die Erinnerungen tief in sich vergraben, und erst jetzt stießen sie allmählich wieder an die Oberfläche. Die Hügelgräber waren eine berühmte Pilgerstätte für alle selbsternannten Neo-Wikinger, immerhin hieß es im Volksglauben, Odin, Thor und Freya lägen dort begraben. Wieder einmal Wikinger ... Konnte das alles noch dem Zufall zuzuschreiben sein, oder hegten Geister tatsächlich ein reges Interesse an nordischer Mythologie? Ständig kennzeichneten sie alles - sogar sich selbst - mit Runen. Amelie schüttelte ihre Gedanken ab. Sie stand vom Bett auf, nahm das Brett und legte es auf den Boden. Sie kramte in der Schublade einer zerkratzten Kommode unter dem Fenster nach dem Plektrum - und fand es. Sollte sie es wagen, noch einmal eine Séance zu beginnen? Leif hatte ihr glaubhaft versichert, es sei Unfug und eine Erfindung der Menschen. Aber vielleicht taugte es zumindest dazu, einen Geist auf sich aufmerksam zu machen, wenn auch einzig deshalb, weil man seinen Sinn für Humor ansprach.
Amelie setzte sich im Schneidersitz in die Mitte ihre s Zimmers, das Brett vor sich auf dem Boden. Sie gähnte. Es war später Nachmittag, und sie fühlte sich, als hätte sie seit drei Tagen nicht geschlafen. Der Schock von heute Mittag hatte an ihren Kräften gezerrt, und ihr Verstand riet ihr, lieber ins Bett zu gehen als ihre kostbare Zeit mit sinnlosen Geisterbeschwörungen zu vergeuden. Aber Angst und innere Unruhe hätten sie ohnehin nicht schlafen lassen. Der Killer wusste, wo sie wohnte. Sie war nirgends sicher, ehe sie nicht herausgefunden hatte, wessen Gewissen fünf
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