Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
dass er die Kleinen oft zum Lachen brachte. Es gelang ihm sogar, Bella ab und an ein kleines Lächeln zu entlocken. Dabei spürte er die ganze Zeit, wie sich Brents Blick in seinen Nacken bohrte.
11
Robbie drehte sich auf seinem Feldbett um. Das einzige Licht im Schlafsaal der Jungen war ein einzelnes kleines Teelicht vor einem der Fenster, in dem ein paar Gewürze verbrannten, um die Insekten fernzuhalten.
Die Eidechsen, die ständig aus den Rissen in der Wand und den kleinen Öffnungen in den Fenstern hinaus- und wieder hineinhuschten, schreckte es jedoch nicht ab. Angezogen vom Licht der Kerze, prallten immer wieder Motten gegen die Scheibe.
Robbie schätzte, dass es inzwischen fast halb elf sein musste. Alle Kinder lagen in ihren Betten. Auch die wenigen Erwachsenen, die auf dem Gelände wohnten, hatten sich in ihre Hütten oder Schlafquartiere zurückgezogen. Aus Erfahrung wusste er, dass spätestens um Mitternacht alle tief und fest schlafen würden. Alle bis auf einen. Dr. Brent war eine »Nachteule«, wie es immer hieß. Genau in diesem Moment ertönte wie ein Echo seiner Gedanken in der Ferne der leise, klagende Ruf einer einsamen Eule. Er wusste, dass Ned hellwach war und darauf wartete, dass sie den nächsten Teil ihres Plans besprechen konnten.
Robbie nahm sich noch einen Moment Zeit, um die enorme Tragweite dessen, was er in Gang gesetzt hatte, zu erfassen. Die Flucht war nun nicht mehr allein seine Sache; jetzt waren auch Ned und Bella daran beteiligt. Bella hatte sein Herz gewonnen. Es war lächerlich – das wusste er –, aber er war der festen Überzeugung, dass sie tatsächlich ein Geschenk der Götter war. Ihretwegen würde er sein Leben radikal ändern; weil sie in Gefahr war, würde er Verantwortung für sein eigenes Leben übernehmen und endlich das tun, was er sich schon seit Jahren vorgenommen hatte.
Er hatte immer geglaubt, englische Mädchen seien pummelig. Bella aber war zierlich, und ihre Bewegungen waren voller Anmut – genau wie die der indischen Mädchen, die er so sehr bewunderte. Robbie liebte ihren hellen, transparenten Teint und ihre zarten Sommersprossen, die aussahen, als hätten die Götter einen goldenen Schauer auf ihr Gesicht und ihre Arme niederregnen lassen. Vom ersten Augenblick an, als er sie gesehen hatte, hatte er ihre blonden Haare berühren wollen. Aber er hatte auch gewusst, dass diese Haare unweigerlich die schlimmste Art von Dr. Brents Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden.
»Lass dich nie zum Opfer machen«, hatte seine Mutter ihm auf ihrem Sterbebett gesagt. Damals hatte das für ihn noch keinen Sinn ergeben, in letzter Zeit aber hatte er sich oft an ihre Worte erinnert, vor allem seit er die Sinclairs kennengelernt hatte.
Seit der Regenzeit im letzten Jahr hatte Brent weniger Interesse an Robbie gezeigt, denn mit dem Einsetzen des Monsuns hatte auch seine Körperbehaarung zu sprießen begonnen. Jetzt benutzte Brent seinen sabbernden Mund und seine dicken Finger nur noch dazu, ihn, Robbie, daran zu erinnern, dass er nach wie vor die Macht über ihn hatte. Sollte jemand von ihrer »besonderen Freundschaft« erfahren, so hatte er Robbie immer wieder gedroht, dann würde er sterben. Man würde seine Leiche niemals finden, und die Geier würden seine Knochen blank nagen.
Aber Robbie hatte keine Angst mehr vor den Geiern. Der wirkliche Geier war hier, und er führte dieses Waisenhaus. Sein Leben war trostlos. Jetzt bestand sein einziges Ziel darin, Bella aus Brents Klauen zu befreien. Und falls er dabei sterben sollte, nun, dann täte er es gern.
»Ned«, flüsterte er.
»Ich dachte, du schläfst. Ich weiß, es ist noch nicht so weit, aber …«
»Ned. Wir können heute Nacht noch nicht fliehen«, stieß Robbie hervor.
» Was? «
»Pssst.«
»Es war doch deine Idee, du …«
»Hör mir zu«, zischte er zurück. Robbie streckte den Arm aus und schlug leise an den Rahmen von Neds Bett. »Brent ahnt etwas.«
»Wirklich? Wie kommst du denn darauf?«, fragte Ned und richtete sich auf.
»Er hat uns heute Abend beim Essen die ganze Zeit über beobachtet. Natürlich weiß er nicht genau, was wir vorhaben, aber er ist nicht dumm, Ned. Du musst mir vertrauen. Er wird heute Nacht nicht schlafen. Er wartet nur darauf, dass wir irgendetwas unternehmen. Deshalb ist er heute Abend auch zum Essen erschienen – wir sollen wissen, dass er uns beobachtet.«
»Hast du vergessen, dass ich morgen weggebracht werden soll?«
»Nein.« Er drückte Ned wieder nach
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