Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
besuchen?«
Dies war die Frage, die Ned am meisten gefürchtet hatte. Er hätte das Grab seiner Eltern, das freundlicherweise die englische Gemeinschaft in Rangun zur Verfügung gestellt hatte, ebenfalls gern besucht, aber er war sich durchaus bewusst, dass dies einer der ersten Orte wäre, an denen Brent nach ihnen suchen würde. Nein, sie mussten die letzte Ruhestätte ihrer Eltern unbedingt meiden.
»Sicher. Das werden wir.«
»Oh, dann kann ich es gar nicht erwarten. Aber wie werden wir wieder zurückkommen?«
»Das ist alles schon ganz genau geplant. Du brauchst dir deswegen keine Gedanken zu machen. Ich gehe jetzt besser und sage ihnen, dass ich so weit bin.«
»Ned …«
»Geh zu Robbie. Noch bevor dein Unterricht beginnt. Er wird dir sagen, was du tun sollst. Ich komme noch einmal, um mich von dir zu verabschieden, bevor ich fahre.« Er drückte sie fest an sich. »Jetzt lauf schon. Du willst doch nicht zu spät kommen«, fügte er mit matter Stimme hinzu. Dann schob er sie sanft von sich.
Zögernd lief Bella davon. Als Ned sah, wie sie sich zu den anderen Kindern gesellte, unter denen sie mit ihren blonden Haaren und der hellen Haut ganz deutlich herausstach, wusste er, dass keiner von ihnen beiden hierhergehörte. Er würde sie aus Rangun herausholen und sie dann irgendwohin bringen, wo Brent sie nicht anfassen konnte. Auch wenn er dafür mit dem Leben bezahlen sollte.
»Ah, Edward, wie schön, dass du pünktlich bist«, sagte Brent mit aalglatter Stimme.
In seinem Büro stand ein großer, dunkelhäutiger Mann, dessen schwarzes, sorgfältig aus der Stirn gekämmtes Haar vor Haaröl glänzte. Er trug einen geschmackvollen leichten Anzug.
»Das ist Horace Foster.« Der englische Name verriet Ned, dass Foster Anglo-Inder war.
Ned nickte dem Fremden zu.
»Mr. Foster ist der stellvertretende Direktor der Schule und hat sich freundlicherweise erboten, dich nach Rangun zu begleiten.«
Ned spielte das Spiel mit, so gut er konnte, und antwortete höflich. »Das ist sehr nett von Ihnen, Sir. Ich würde dort gern eine Zulassung als Elektriker erwerben, wenn das möglich ist.«
Foster wiegte den Kopf langsam hin und her, was, wie Ned jetzt bewusst wurde, eine anglo-indische Eigenheit sein musste. Dasselbe Verhalten hatte er schon bei Robbie beobachtet. »Nun, wir werden unser Bestes tun, um dir zu helfen.«
»Vielen Dank, Sir«, erwiderte Ned und warf Brent einen kurzen Blick zu. »Natürlich komme ich meine Schwester regelmäßig besuchen. Ich bin alles, was ihr von unserer Familie geblieben ist und …«
»Das verstehen wir doch, Edward«, fiel ihm Brent ins Wort. Seine Stimme war genauso ölig wie Fosters Haare.
»Abgesehen davon«, fuhr Ned fort, »wird bestimmt bald Mr. Fraser mit uns in Verbindung treten, um uns die Modalitäten für unsere Heimreise mitzuteilen.«
»Natürlich«, erwiderte Foster. Der verstohlene Blick, den die beiden Männer wechselten, sagte Ned jedoch, dass keiner von ihnen daran glaubte. Offen gesagt, bezweifelte er das inzwischen selbst, dennoch musste er klarstellen, dass er die Zukunft von sich und seiner Schwester nicht in Rangun sah.
»Nun«, sagte Brent munter. »Dann solltet ihr euch jetzt auf den Weg machen, Edward. Ich nehme an, du hast bereits gefrühstückt?«
»Ja, Sir.«
»Gut. Hast du dich schon von deiner Schwester verabschiedet?«
»Nein. Das habe ich auch nicht vor. Ich hielt es für besser, ihr zu sagen, dass wir uns schon bald wiedersehen würden.«
»Natürlich, natürlich«, erwiderte Brent.
»Ich würde mich aber gern von Robbie verabschieden. Er war sehr freundlich zu uns. Beim Frühstück hatte ich keine Gelegenheit dazu …«
»Dann beeil dich, Junge. Wir sehen uns in fünf Minuten draußen vor dem Gebäude.«
Ned nickte und verließ das relativ kühle Büro, das durch einen der Waisenjungen, der mit seiner großen Zehe einen Fächer aus Schilfgras bediente, etwas erträglicher gemacht wurde. Ausnahmsweise war er froh, in die drückende Hitze des Tages zu entkommen. Er entdeckte einen Pferdekarren und nahm an, dass er es war, auf den der Kutscher wartete. Hinter dem Karren tauchte Robbie auf.
»Ist es so weit?«, fragte der Mischlingsjunge, der in seiner zu großen kurzen Hose und dem hellblauen Hemd, das eindeutig eine Größe zu klein war, dahergeschlendert kam, die dunklen Augen groß und wachsam.
Ned nickte. »Sie kommen gleich«, antwortete er leise. »Wird der Plan funktionieren?«
»Wenn du dich genau an das hältst, was ich dir
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