Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
Kopfnicken auf den Briefbeschwerer aus Glas, der neben der Leiche lag. »Ich habe ihn erschlagen.«
»Erschlagen …?« Völlig verwirrt blickte Jack wieder auf Brent. Er schüttelte den Kopf. Mehrere Fragen gleichzeitig schossen ihm in den Sinn. »Aber … wie? Warum?«
Jetzt war es Ned, der den Kopf schüttelte. »Ich … ich habe nicht einmal mitbekommen, wie es passiert ist. Plötzlich fiel er um. Anscheinend habe ich die Beherrschung verloren, Jack. Er hat mich beschimpft und mir gedroht. Ich habe einfach … eine solch unglaubliche Wut verspürt. Nein, eigentlich habe ich gar nichts gespürt. Ich glaube, ich habe einfach nur im Affekt gehandelt.«
»Er ist nicht etwa ausgerutscht oder gestolpert oder …«
»Ich habe ihn erschlagen, Jack! Ich habe diesen Briefbeschwerer genommen«, sagte Ned, ging zu der Kugel und hob sie auf, »und ihm den Schädel damit eingeschlagen!«
Jack hob die Hände. »Schon gut, Ned, schon gut. Ruhig jetzt! Lass mich nachdenken!«
»Was habe ich nur getan? Was ist nur über mich gekommen?«, lamentierte Ned und sackte in sich zusammen, als wäre er eine Lumpenpuppe.
»Sei endlich still«, murmelte Jack. »Ich meine es ernst.«
Glücklicherweise schwieg Ned. Er hatte den Kopf zwischen die Schultern gezogen und das Gesicht in den Händen vergraben. Jack holte tief Luft und starrte die Leiche an, die keinerlei Spuren äußerlicher Gewalteinwirkung zeigte. Er untersuchte Brents Schädel. Die Haut war wie durch ein Wunder völlig unversehrt geblieben. Auch in den fettigen Haaren des Toten war keine Spur von Blut zu sehen.
»In Ordnung«, sagte Jack langsam, als er wieder aufstand. »Wir werden Folgendes tun. Wir rufen die Quartierspolizei.« Er zog sein Taschentuch aus der Tasche und wischte sorgfältig alle Fingerabdrücke von dem Briefbeschwerer. »Und dann werde ich behaupten, dass ich ihn so gefunden habe.«
»Wie bitte?«, fragte Ned, der durch Jacks Worte aus seiner Schreckstarre gerissen worden war.
»Hast du hier in diesem Zimmer noch irgendetwas anderes angefasst?«
»Nein, was? Nein. Ja!«
Jack bedachte Ned mit einem strengen Blick. »Versuch dich zu erinnern. Was hast du alles angefasst? Wenn man irgendwo deine Fingerabdrücke findet, könnte das eine Menge unangenehmer Fragen aufwerfen.«
»Die Türklinke.«
»Okay. Was noch?«
»Das Fensterbrett.«
Jack ging zum Fensterbrett und wischte auch dieses gründlich ab. Henry hatte ihm erzählt, dass man in Indien bei allen Straftätern Fingerabdrücke nahm und dass viele Inder, die Analphabeten waren, ihre Fingerabdrücke als Unterschrift verwendeten. Jetzt erwies sich Henrys damals scheinbar sinnlose Information als durchaus nützlich. Sie konnte Ned eine Gefängnisstrafe oder sogar ein Todesurteil ersparen. Allein bei dem Gedanken zog sich sein Magen zusammen.
Ned sah Jack dabei zu, wie er ganz bewusst das Fensterbrett und die Griffe der Fensterläden berührte. Er runzelte fragend die Stirn, schwieg jedoch.
»Jetzt kann dir nichts mehr geschehen«, erklärte Jack und ließ noch einmal den Blick durchs Zimmer schweifen. »Sonst hast du nichts angefasst?«
Ned schüttelte den Kopf. »Was machst du da, Jack?«
»Ich verschaffe dir ein Alibi.«
»Das ist nicht nötig. Ich werde der Polizei die Wahrheit sagen.«
»Und wegen Totschlags ins Gefängnis kommen.« Was geschehen würde, sollte Ned sogar des Mordes für schuldig befunden werden, erwähnte Jack lieber nicht.
Dennoch wich der junge Sinclair instinktiv einen Schritt zurück, als hätte Jack ihm eine Ohrfeige verpasst. »Die Leute werden es verstehen. Ich werde ihnen alles erklären … werde vom Waisenhaus erzählen, von Robbie, von Brents Drohungen, und ich werde …«
»Trotzdem ein Mörder sein. Du kommst ins Gefängnis, Ned. Die Gesetze hier sind sehr streng. Auch wenn Walker und sogar deine Freunde in Madras zu deinen Gunsten aussagen, bleibt es eine Tatsache, dass du einen Menschen getötet hast. Das Gesetz interpretiert das als Mord und nicht als Selbstverteidigung. Ein Gericht wird zur Kenntnis nehmen, dass du es warst, der ihn in seinem Zimmer aufgesucht hat, und ganz egal, wie sehr er dich provoziert hat – du hast ihn getötet«, sagte Jack mit Nachdruck. Seine Stimme klang jetzt wie ein böses Knurren und war dabei so leise, dass Ned sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen. »Wir müssen handeln, falls uns jemand beobachtet hat. Wir müssen also so schnell wie möglich Alarm schlagen. Aber zuerst einmal musst du von hier verschwinden.
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