Herzen im Feuer
sich von der Wand und ging ans Fenster zu dem Geheimfach, dessen Existenz durch einen solch unglaublichen Zufall offenbart worden war.
Eine Hand faßte in die schwarzen Tiefen des Hohlraums und zuckte unwillkürlich zusammen, als sie die Dokumente berührte. Dann zog sie die Papiere und das ledergebundene Tagebuch heraus. Die Gestalt kehrte zu der Kerze auf dem Schreibtisch zurück.
Fasziniert und gebannt waren die Augen auf die Dokumente gehef- tet, von denen eines Instruktionen beinhaltete, ein neues Testament zugunsten Nicholas de Montaigne-Chantales aufzusetzen. Das andere Dokument war das bisherige Testament. Ruhig hielt die Hand das Papier, in welchem Nicholas als neuer Erbe eingesetzt wurde, über die Kerze, bis die Ränder braun wurden und die Flammen an dem Papier hochzüngelten. Das hell lodernde Dokument schwebte hinab in einen großen Aschenbecher. Zitternde Hände wendeten die Seiten des Tage- buchs, rissen eine nach der anderen heraus und warfen sie auf den kleinen Scheiterhaufen, der jetzt im Aschenbecher brannte. Das zweite Dokument wurde sorgfältig gefaltet und in eine Tasche gesteckt, wäh- rend das nun harmlose Tagebuch wieder in dem Geheimfach ver- schwand.
»Au revoir, Mademoiselle O’Flynn«, verabschiedete sich Celeste, der man eben in die Kutsche half. »Vielleicht sehen wir uns in New Or- leans?« sagte sie höflich, aber in dem Wissen, daß das höchst unwahr- scheinlich war. »Im April, gleich nach Nicoles Hochzeit, werde ich aus Charleston abreisen. Falls ich aber nicht das Vergnügen haben werde, Ihnen noch einmal zu begegnen, Mademoiselle«, ergänzte sie bedau- ernd, »dann wünsche ich Ihnen viel Glück.«
Mara lächelte. Sie wußte, daß sie sich nie wiedersehen würden, denn Mara O’Flynn hatte keinesfalls die Absicht, bis zum Frühling in Loui- siana zu bleiben. Sie trat beiseite, damit man Nicole in die Kutsche helfen konnte.
»Au revoir, Mademoiselle«, rief das Mädchen fröhlich und mit glü- hendem Gesicht. »Schade, daß Sie nicht zu meiner Hochzeit kommen können, es wird bestimmt das Ereignis des Jahres!« Dann ließ sie sich verträumt in die Polster sinken.
»Auf Wiedersehen, Damaris«, rief Paddy in die Kutsche hinein, obwohl er das kleine Mädchen nicht sehen konnte. Seinen Worten folgte beklemmende Stille, und Paddy, der zuerst hoffnungsvoll hoch- geblickt hatte, schaute verlegen auf seine Stiefel.
Plötzlich erschien ein roter Schopf in der offenen Kutschentür, und zwei graue Augen sahen traurig auf die kleine Gruppe, die sich auf den Stufen vor Beaumarais versammelt hatte. Mit bebenden Lippen flü- sterte Damaris: »AH revoir, Paddy.«
Nicholas schritt langsam die Stufen hinunter und trat an den Schlag, hinter dem Damaris saß. Er faßte durch die offene Tür und holte sie mit einem Schwung aus der Kutsche heraus, so daß sie vor Schreck auf- schrie. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, dann folgte dem Schreckensschrei ein Schrei der Freude. Sie schlang die dünnen Arme um seinen Hals.
»Benimm dich anständig, meine Kleine, und tu, was deine Mutter dir sagt«, befahl ihr Nicholas mit einem gütigen Lächeln. Dann hob er sie in die Kutsche zurück.
»Ganz bestimmt, Nicholas, das verspreche ich dir«, rief Damaris. Sie winkte noch aus dem Kutschenfenster, als der Wagen aus der Auffahrts- allee auf die Straße abbog, die zum Fluß führte. Man konnte bereits das Dampfboot hören, das sich dem Anlegeplatz vor Beaumarais näherte.
»Was um Himmels willen hast du ihr versprochen, daß sie so fröhlich ist?« fragte Mara, als sie ins Haus zurückgingen. Eine kühle Bö fuhr ihr unter den Rock, und die ersten Regentropfen klatschten auf den Boden.
»Eines von Hexers Fohlen«, antwortete Nicholas und führte sie in den Salon, wo er sich und Etienne einen Brandy einschenkte. Er hob sein Glas und prostete Mara lächelnd zu.
»Ah«, seufzte Etienne erleichtert, »diese Ruhe! Bitte«, fügte er ent- schuldigend hinzu, »mißverstehen Sie mich nicht, ich liebe diese Familie. Aber dieses ständige Babygeschrei ist einfach nervenaufreibend, vor allem, wenn man nicht einmal der leibliche Großvater ist. Und Nicole ist zwar sehr charmant, aber manchmal auch recht anstrengend«, erklärte er mit einem Lächeln, das seinen Worten die Schärfe nahm. »Vielleicht werde ich einfach alt. Ich sollte noch einmal nach Paris reisen, bevor es zu spät ist. Naja«, bedauerte er und leerte sein Glas, »Zeit für mich zu gehen. Speisen wir heute abend zusammen? Vielleicht könnten wir
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