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Herzenhören

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Titel: Herzenhören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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Sauberkeit zu achten. Ich weiß, dass unser Essen unseren Gästen nicht immer gut bekommt. Aber selbst wir sind dagegen nicht immun. Glauben Sie mir, auch ich war in meinem Leben unzählige Stunden an die Toilette gefesselt.«
    »Das ist nicht gerade ein Trost«, meinte ich und biss in eines der Brote. In meinem Reiseführer hatte ich gelesen, dass man sich vor allem vor Salaten, rohen Früchten, unbehandeltem Wasser und Eis hüten solle. Brot und Reis hingegen seien vergleichsweise unbedenklich. Ich probierte etwas Reis mit Soße. Sie war ein wenig bitter, schmeckte fast erdig, aber nicht schlecht. Das Huhn war so zäh, dass ich es kaum kauen konnte.
    »Wo ist mein Vater?«, fragte ich, nachdem wir eine Weile schweigend gegessen hatten. Es klang strenger und fordernder, als es meine Absicht war. Die Stimme der Rechtsanwältin.
    U Ba schaute auf und blickte mich lange an. Er wischte mit dem letzten Stück des Fladenbrotes den Teller sauber. »Sie kommen ihm immer näher, merken Sie das nicht?«, sagte er und strich sich mit der alten Serviette über den Mund. Er trank einen Schluck Tee und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Ich könnte Ihnen mit einem Satz sagen, wo er ist. Aber nun haben Sie so lange gewartet, über vier Jahre, kommt es da auf ein paar Stunden mehr oder weniger an? Sie werden nie wieder die Gelegenheit haben, so viel über Ihren Vater zu erfahren. Möchten Sie nicht wissen, wie es mit ihm und Mi Mi weiter ging? Wie sie sein Leben veränderte? Warum sie ihm so viel bedeutete? Warum sie auch Ihr Leben verändern wird?«
    U Ba wartete meine Antwort nicht ab. Er räusperte sich einmal kurz und erzählte weiter.
    9
    S u Kyi merkte sofort, dass mit Tin Win etwas Außergewöhnliches geschehen sein musste. Sie hatte vor der Gartenpforte gesessen und auf ihn gewartet und gerade angefangen, sich Sorgen zu machen. Der Weg war in einem erbärmlichen Zustand. Heftiger, lang anhaltender Regen hatte vor zwei Tagen die Erde aufgeweicht, und die Ochsenkarren hatten dann im Matsch tiefe Spuren hinterlassen. Die Sonne hatte den Schlamm getrocknet, und nun war die Oberfläche hart und verkrustet und übersät mit Kuhlen und Rillen, selbst für einen Sehenden voller Tücken. Sie fragte sich, ob es eine gute Idee gewesen war, ihn ausgerechnet heute allein gehen zu lassen, da sah sie ihn den Berg heraufkommen. Sie erkannte seinen rotgrünen Longy und sein weißes Hemd, aber sein Gang wirkte anders als sonst. Er hatte nichts Zaghaftes oder Zögerliches. Sie traute ihren Augen nicht. War das wirklich Tin Win, der da fast beschwingt den Weg herauflief? In der Hand hielt er seinen Stock, aber er tastete sich nicht behutsam vorwärts, er ließ ihn vor seinen Füßen tanzen. So leichtfüßig hatte sie ihn noch nicht laufen sehen.
    Am Abend war er redselig wie nie. Er berichtete ausführlich von U May und wie aufgeregt er, Tin Win, gewesen sei, als er ganz allein aus dem Tor des Klosters auf die Straße trat, wie er wegen seiner Unachtsamkeit stürzte und sich darüber ärgerte, aber dass er von nun an immer versuchen wolle, den Weg ohne ihre Hilfe zu bewältigen. Er erzählte von Geräuschen, von Vogelfedern und Bambusblättern, die er zur Erde segeln hörte, von pochenden Herzen, die wie Gesänge klängen. Su Kyi freute sich über seine Phantasie und seine Lust, sich mitzuteilen, die alles andere als selbstverständlich war. Auch wenn sie wusste, dass sie davon natürlich kein Wort glauben konnte.
    Von Mi Mi sagte er nichts, und so konnte die arme Su Kyi sich auch nicht erklären, was in den folgenden Tagen mit Tin Win geschah. Ihm, der gewöhnlich stundenlang stumm in einer Ecke hockte, war es kaum möglich, still zu sitzen. Ruhelos lief er durch Haus und Garten. Er interessierte sich plötzlich für den Markt, wollte wissen, warum er nur alle fünf Tage abgehalten werde und fragte mehrmals, wann es wieder so weit sei. Sein Appetit nahm von Mahlzeit zu Mahlzeit ab, bis er am dritten Tag nur noch Tee trank. Su Kyi wusste nicht, was sie machen sollte. Tin Win wurde krank, so viel war sicher, aber er klagte nicht über Schmerzen. Langsam waren ihr seine Erzählungen von den Geräuschen, die er hörte, nicht mehr geheuer. War er dabei, seinen Verstand zu verlieren?
    Tin Win zählte die Tage, nein, es waren die Stunden bis zum nächsten Markttag, die er zählte. Er hatte nicht geahnt, wie lang ein Tag sein konnte. Warum dauerte es eine Ewigkeit, bis die Erde sich einmal um die eigene Achse drehte? Die Zeit kroch so langsam

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