Herzenhören
ihnen die Tiefe zu schätzen. Es mussten ungefähr drei Meter sein. »Wie breit ist er hier?«, fragte er.
»Zwei, vielleicht etwas mehr.«
»Wie kommen wir hinüber?«
Mi Mi reckte sich und schaute umher. »Da drüben liegt ein Baumstamm quer über den Fluss.« Sie dirigierte Tin Win an einem kleinen Felsen vorbei zu dem Stamm. Es war eine Pinie, schmaler, als Mi Mi gedacht hatte, und nicht umfangreicher als ihre Oberschenkel. Der Baum war entrindet, und jemand hatte die Äste dicht am Stamm abgeschlagen. Mi Mi zögerte.
»Was ist?«, fragte er.
»Es ist tief«, sagte sie.
»Nur wenn du hinschaust. Für mich nicht.«
Er tastete sich vor bis zum Stamm und setzte einen Fuß darauf. Seine Sohle wölbte sich um das Holz. Mi Mi wollte ihn mit den Schultern lenken, aber er schüttelte den Kopf. »Vertrau meinen Füßen.«
Er hatte sich ein wenig seitwärts gewandt und setzte einen Fuß vor den anderen. Er machte keine richtigen Schritte, sondern schob jeweils einen Fuß ein paar Zentimeter vor, glitt mit den Zehen über das Holz, streichelte es, bis es ihm vertraut war und er sich sicher fühlte, verlagerte dann das Gewicht und zog den anderen Fuß nach. Er hörte Mi Mis Herz. Es trommelte. Gleichzeitig vernahm er jetzt das Rauschen des Wassers noch lauter und klarer, sie mussten direkt über dem Fluss sein. Das Holz bog sich unter ihrem Gewicht, knackte bedrohlich.
Tin Win ging langsam, wankte aber nicht. Nicht ein Mal. Ihr wurde schwindlig, und sie machte die Augen zu. Er hatte Recht, mit geschlossenen Augen war es einfacher; sie musste nur vergessen, wo sie war.
Tin Win schlich weiter vorwärts, bis der Fluss sich wieder einen Deut leiser anhörte. Sie hatten die andere Seite erreicht. Mi Mi wippte vor Erleichterung auf seinem Rücken und küsste ihn auf die Wangen und den Hals. Seine Knie knickten vor Aufregung ein, er stolperte und gewann nur mit Mühe sein Gleichgewicht wieder. Nach ein paar Schritten hörten sie einen gewaltigen Donner, er kam von ziemlich nah. Tin Win erschrak, Gewitter waren ihm noch immer nicht geheuer.
»Etwas weiter unten im Tal steht eine Hütte«, rief Mi Mi. »Vielleicht schaffen wir es bis dahin, ehe es richtig losgeht. Lauf einfach am Fluss entlang.«
Tin Win ging, so schnell er konnte. Wenn er zu nah an den Fluss kam oder sich zu sehr vom Ufer entfernte, zog sie ihn an der jeweiligen Schulter. Dann fing es an zu regnen. Das Wasser war angenehm warm, es rann über ihre Gesichter, tropfte von den Nasen und lief Nacken und Bäuche hinunter. Mi Mi hatte sich an ihn geschmiegt. Zum ersten Mal spürte er ihre Brüste. Sie waren weich und hatten zwei harte Spitzen, die er auf seinem feuchten Rücken auf und ab gleiten fühlte.
Die Hütte war ein fensterloser Unterstand aus Holzbalken und Brettern, nicht größer als zwei oder drei Schlafmatten, und der Boden war mit mehreren Schichten trockenem Gras ausgelegt. Der Regen hämmerte auf das Blechdach, als würden tausend Fäuste darauf trommeln, er fiel so dicht, dass Mi Mi kaum den nur wenige Meter entfernten Fluss sehen konnte. Das Gewitter tobte jetzt genau über ihnen, und Tin Win zuckte bei jedem Blitz zusammen; aber zum ersten Mal während eines Unwetters war ihm nicht unheimlich. Es donnerte so laut, dass Mi Mi sich die Ohren zuhielt. Tin Win erschrak, hatte aber keine Angst.
In der Hütte war es noch heißer und feuchter als draußen. Ihre Körper waren nass und warm, und das Regenwasser mischte sich auf der Haut allmählich mit Schweiß.
Mi Mi hatte sich auf dem Gras ausgestreckt. Tin Win lag nicht wie sonst in ihrem Schoß, sondern hatte sich hingehockt, die Beine verschränkt und ihren Kopf zwischen seine Schenkel genommen. Seine Hände fuhren durch ihr Haar, sie glitten über ihre Stirn, fühlten die Augenbrauen, die Nase und den Mund, streichelten die Wangen und den zarten Hals.
Mi Mi spürte seine Fingerspitzen. Sie streichelten sie nicht nur, sie elektrisierten sie, und mit jeder Bewegung fing ihr Herz stärker an zu flattern. Er beugte sich hinab, küsste ihre Stirn, die Nase. Seine Zunge lief über ihren Hals und ihre Ohren. Mi Mi konnte kaum glauben, wie sehr sie ihren Körper genoss, jede Stelle, die Tin Win berührte. Seine Hände glitten über ihr Gesicht, die Schläfen, den Nasenrücken. Sie zeichneten ihre Lippen nach, strichen ihr über die Augen und den Mund. Sie öffnete ihn ein wenig, und es war, als wenn er sie noch nie berührt hätte.
Er bettete ihren Kopf auf ein Büschel Gras und zog sein Hemd aus.
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