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Herzenhören

Herzenhören

Titel: Herzenhören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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Ein Missverständnis. Weit, weit weg, wie Gewitterwolken am Horizont, die in eine andere Richtung ziehen.
    Er spürte die unermessliche Erleichterung, die er fühlen würde. Doch schon war sie verschwunden, verflogen wie Rauch, den der Wind auseinander treibt.
    Es klopfte. Als Tin Win nicht antwortete, klopfte es ein zweites Mal, die Tür ging auf und jemand trat ein. Ein Junge, dachte Tin Win. Er hörte es am Gang. Die Schritte von Männern klangen anders als die von Frauen. Sie waren plumper, kamen mit mehr Nachdruck daher, traten mit dem ganzen Fuß auf, während Frauen oft abrollten und weicher tönten. Sie streichelten den Boden mit ihren Sohlen. Der Junge war vermutlich etwas jünger, auf jeden Fall kleiner und leichter als Tin Win, seine Schritte waren sehr flink. Er stellte ein Tablett auf einen Tisch neben das Bett. Geruch nach Reis und Gemüse. Der Junge goss aus einer Karaffe Wasser in ein Glas. Tin Win solle viel trinken, sagte er. Schließlich käme er aus den Bergen und sei die Hitze der Hauptstadt nicht gewöhnt. Nach einigen Wochen der Anpassung würde es ihm besser gehen. Tin Win solle sich ausruhen und rufen, falls er etwas brauche. Der Onkel sei aus dem Haus und werde zum Abendessen zurück erwartet.
    Tin Win, wieder allein, richtete sich im Bett auf und nahm das Tablett. Er aß ein paar Löffel. Das Curry schmeckte, aber er hatte keinen Appetit. Das Wasser tat gut.
    Einige Wochen der Anpassung. Der Satz sollte tröstlich sein und klang wie ein Fluch. Er konnte sich nicht vorstellen, auch nur einen Tag länger ohne Mi Mi zu verbringen.
    Tin Win hörte über sich etwas summen, ein ganz und gar abscheulicher Laut, ohne jeden Rhythmus und mit einer abstoßenden Monotonie. Es machte keine Pause, wurde weder leiser noch lauter, nicht einmal schwächer. Gleichzeitig kam ihm von oben ein schwacher Luftzug entgegen. Erst daran merkte er, wie warm es war. Der leichte Wind kühlte nicht, die Luft war zu heiß, es fehlte nicht viel, und sie würde auf der Haut brennen.
    Er stand auf, um sein Zimmer zu erkunden. Er hielt die Luft an und horchte. An der Wand vor ihm liefen ein paar Ameisen. Unter dem Bett saß eine Spinne, in deren Netz sich gerade eine Fliege verfangen hatte. Er hörte, wie sie zappelte, wie das verzweifelte Summen schwächer wurde. Die Spinne kroch ihrer Beute entgegen. Unter der Decke klebten zwei Geckos, die abwechselnd mit ihren Zungen schnalzten. Keines der Geräusche erleichterte ihm die Orientierung. Er ruderte mit den Armen und machte einen Schritt.
    Stühle klingen nicht, und sie riechen nicht. Sein Handrücken schlug gegen die Holzkante, und er schrie kurz auf. Der Schmerz zog hoch bis zur Schulter. Er ließ sich auf die Knie nieder und kroch auf allen Vieren durch den Raum.
    Tische klingen nicht und sie riechen nicht. Es würde eine kräftige Beule auf der Stirn geben.
    Er betastete jeden Winkel seines Zimmers, als wolle er es vermessen, Karten anfertigen, damit er sich nicht wieder verletzen würde. Neben Tisch und Stuhl gab es an der Wand einen großen Schrank, neben dem Bett zwei hohe, aber kleine runde Tischchen mit Lampen darauf. Über dem Tisch hing ein Bild. Die zwei langen, halb geöffneten Fenster reichten fast bis zum Boden. Die Fensterläden waren geschlossen. Tin Win klopfte auf den Fußboden. Altes Teakholz, es hatte diesen unverwechselbaren dunklen Klang. Er überlegte, ob er das Haus erkunden sollte, beschloss, erst einmal auf seinen Onkel zu warten, und legte sich wieder hin.
    Das Klopfen an der Tür weckte ihn. Es war derselbe Junge wie am Mittag. Der Onkel erwarte ihn zum Abendessen.
    Tin Win setzte zögernd einen Fuß vor den anderen, als er die Treppe hinabstieg, die in einem lang gezogenen Bogen ins Erdgeschoss führte. Der Hall seiner Schritte verriet ihm die Größe des Raumes. Er musste riesig sein, eine Art Vorhalle, die bis unter das Dach reichte. Tin Win hörte den Jungen neben sich gehen. Auf der letzten Stufe nahm er Tin Wins Arm und führte ihn durch zwei weitere große Räume zum Esszimmer.
    U Saw hatte sich, während er auf seinen Neffen wartete, ein Sodawasser mit Limonensaft gemischt, war auf die Terrasse getreten und inspizierte den Garten hinter dem Haus. An einer der Palmen hing ein großes braunes Blatt, ein Gärtner musste es übersehen haben. Eine Nachlässigkeit, die U Saw nicht tolerieren konnte, und er überlegte, ob es wieder einmal an der Zeit war, einen der Hausangestellten zu entlassen. Es gab keine bessere Methode, den anderen für

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