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Herzenhören

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Titel: Herzenhören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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einige Monate ihren Schlendrian auszutreiben. Er trat auf den Rasen, bückte sich und kontrollierte, ob das Gras gleichmäßig geschnitten war. Einige Halme standen weit heraus. Er war empört. Morgen würde er das Nötige veranlassen.
    U Saw gehörte zu den wenigen Birmanen, die es unter britischer Herrschaft zu mehr als bescheidenem Wohlstand gebracht hatten. Zählte man seine Unternehmen, seine Liegenschaften im Ausland und sein Bargeld zusammen, war er einer der reichsten Männer des Landes, abgesehen von manchen Engländern und einigen anderen Europäern natürlich, die in ihrer eigenen Welt lebten, einer Welt, die mit dem Rest Birmas wenig zu tun hatte und deshalb Vergleiche nicht gestattete. Sein Anwesen in der Halpin Road konnte sich mit den prachtvollsten Villen der Kolonialherren messen. Ein Haus mit mehr als zwei Dutzend Zimmern, einem Swimmingpool und einem Tennisplatz stand nicht an jeder Straßenecke, auch nicht in den Vierteln der Weißen. Da U Saw kein Tennis spielte, mussten seine Angestellten die Anlage nutzen. Jeden Morgen kurz nach Sonnenaufgang schlugen sich zwei der fünf Gärtner für eine Stunde die Bälle zu, damit der Platz den Eindruck erweckte, als nutze ihn der Hausherr regelmäßig. Nachbarn und Besucher hielten ihn für außerordentlich sportlich. Neben den Gärtnern beschäftigte U Saw zwei Köche, zwei Fahrer, mehrere Putzfrauen, drei Nachtwächter, einen Hausjungen, einen Butler und eine Art Haushaltsvorsteherin, die für die Einkäufe verantwortlich war.
    Über den Ursprung seines Reichtums hatte es vor Jahren zahlreiche Spekulationen gegeben, doch mit wachsendem Vermögen war das Gerede verstummt. Es gibt einen gesellschaftlichen Status, der über jedes Gerücht erhaben ist.
    Über seine Vergangenheit wusste man in der Hauptstadt nur, dass er als junger Mann zu Beginn des Jahrhunderts in der deutschen Gemeinde Ranguns verkehrt hatte, fließend Deutsch sprach und in jener Zeit zum Manager einer großen Reismühle aufgestiegen war, die einem Deutschen gehörte. Der Erste Weltkrieg zwang diesen Mann, wie auch die meisten seiner Landsleute, die britische Kolonie zu verlassen. Angeblich überschrieb er U Saw sein Unternehmen unter dem Vorbehalt, dass es bei seiner Rückkehr nach Kriegsende wieder in seinen Besitz übergehe. Zwei weitere Reismühlenbesitzer sollen sich ihm angeschlossen und ihre Firmen für einen symbolischen Preis von wenigen Rupien an U Saw verkauft haben. Keiner von ihnen wurde je wieder in Rangun gesehen. U Saw selbst verlor über diese glückliche Fügung des Schicksals kein Wort.
    Seine Firmen expandierten in den Zwanzigerjahren, und die Weltwirtschaftskrise Anfang der Dreißigerjahre, von der auch Hinterindien nicht verschont blieb, nutzte er geschickt zu seinem Vorteil. Er kaufte Reisfelder und finanziell angeschlagene Mühlen auf, übernahm das Geschäft eines indischen Reisexporteurs, so dass er nun den Handel von der Saat bis zur Ausfuhr kontrollierte. Er pflegte sowohl zu seinen indischen Konkurrenten als auch zu den Engländern und der chinesischen Minderheit gute Kontakte. Beziehungen, das hatte er früh gelernt, schadeten nur dem, der sie nicht hatte, und so wie es sich für einen Mann seines Standes gehörte, bedachte er die beiden größten Klöster in Rangun großzügig mit Spenden; er hatte in seinem Namen bereits drei Pagoden errichten lassen, und in der Eingangshalle seines Hauses stand ein imposanter buddhistischer Altar.
    Kurz gesagt, U Saw war ein Mensch, der im Alter von fünfzig Jahren mit sich und dem Leben mehr als zufrieden war. Selbst der tragische Tod seiner Frau vor zwei Jahren hatte ihn darin nicht erschüttert. Die kinderlose Ehe war für ihn ohnehin nur eine zwecklose Zweckgemeinschaft gewesen. Seine Frau war die Tochter eines Reeders, und U Saw hatte angenommen, durch die Heirat die Transportkosten für seinen Reis senken zu können. Wie hätte er ahnen sollen, dass die angesehene Reederei kurz vor dem Bankrott stand? Die Ehe wurde geschlossen, aber selten vollzogen.
    U Saw konnte nicht sagen, dass er seine Frau sonderlich vermisst hätte, ihn beunruhigten mehr die Umstände, unter denen sie zu Tode kam. Ein Astrologe hatte ihm zuvor dringend von einer Geschäftsreise nach Kalkutta abgeraten. Sollte er die Fahrt antreten, würde seiner Familie ein großes Unglück widerfahren. U Saw machte sich dennoch auf den Weg. Zwei Tage später wurde seine Frau tot in ihrem Bett aufgefunden. Eine Kobra lag zusammengerollt auf dem Bettlaken und

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