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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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bewundern. Sie wollten wissen, wann und wie es denn passiert sei. Danach hatte der Vater den Gips kaputtgemacht, obwohl er so schön bemalt war.
    Damals hatte er sie mit einem Sprichwort beruhigt, das sie schon lange kannte, aber zum ersten Mal verstand: Unter der Rinde ist jeder Baum ein Mast.
    Wenn man sich wirklich verändern wollte, genügte es nicht, sich anders zu kleiden, man mußte dichter heran an das Fleisch und seine Farbe wechseln.
    Es war nicht viel, was sie fand. Schuhcreme, ein paar Spraydosen, einen alten Schminkkoffer, den Sabine Weber zurückgelassen hatte. Das meiste darin war verbraucht oder hart. Es würde genügen. Sie hatte Zeit.
    (Die Farbe Braun:) Sie zog sich in Wilhelm Webers Schlafzimmer aus und breitete ihre Unterwäsche und ihr Kleid sorgfältig auf seinem Bett aus, strich alles glatt und legte vorsichtig die Bettdecke darüber. Die Schuhe brachte sie in die Küche. Schuhe waren überhaupt das Verdächtigste. Schuhe konnten einen verraten, wenn man sie zu sehr liebte. Sie schob sie in den Backofen und stellte die Automatik auf »Rinderbraten«. Das einzige, was sie früher wirklich geliebt hatte, war eine Puppe ohne Kopf gewesen. Mit acht oder neun Jahren war es ihr Lieblingsspielzeug gewesen. »Komm, wir gehen deinen Kopf suchen«, hatte sie immer zu ihr gesagt, bevor sie in den Wald ging. Natürlich war der Kopf dort nicht zu finden. Sie hatte ihn ja selbst am Dorfteich vergraben. »Kopf suchen« war ein schönes Spiel, wenn man acht Jahre alt war. Man konnte es jeden Tag wieder spielen. Es war nie zu Ende.
    (Die Farbe Rot:) Sie nahm einen Stapel alter Zeitungen und ging in den Kraftraum. Mit den Zeitungen legte sie den Boden vor dem Wandspiegel aus. Man sollte später keine Farbflecke finden. Sie musterte ihren nackten Körper und wußte sofort, was daran nicht stimmte. Es waren die Haare, die mußten spurlos verschwinden. Am besten, man fand jemanden, der sie aß. Aber den gab es nicht, es sei denn, man konnte jemanden mit der Pistole an der Schläfe dazu zwingen. Sie ging zurück ins Bad, schnitt sich alle Haare ab und rasierte sich in der Badewanne mit Wilhelm Webers Rasierern. Am Ende sammelte sie die Haare aus dem Abfluß und brachte sie hinter den Bungalow. Mit einem Messer öffnete sie einen Maulwurfshügel auf der Wiese, stopfte ihre Haare hinein und schüttete ihn wieder auf, bis er fast die ursprüngliche Form zurückerhielt. Sie bedauerte, daß Haare nachwuchsen, sonst würde dieser kleine Erdhügel ein wunderbares Geheimnis beinhalten, und man hätte »Haare suchen« spielen können. Doch dieser Einfall brachte sie auf eine andere wunderbare Idee. Nein, eine notwendige Idee, wenn sie bedachte, daß sie vielleicht nicht zurückkehren konnte. Eine Art Rückversicherung. Sie ging ins Wohnzimmer, hob die schwere Glasplatte des Couchtisches von ihrem Gestell, legte sie auf den Teppichboden. Aus dem Gymnastikraum rollte sie eine der großen Scheibenhanteln heran. Sie nahm sie auseinander, legte die Stange unter die Mitte der Scheibe und schlug mit einem der Gewichte auf das Glas. Die Scheibe zersprang zwar nicht in der Mitte, sondern in drei Teile, doch eines von ihnen gab eine lange, wunderschön gezackte Schneide ab. Sie steckte die Hantel wieder zusammen, rollte sie an die Außentür. Sie schob die Tür auf und probierte, wie man sich mit dem Fuß an der Hantel verfing, wenn man von außen kam, und wie weit man stürzen würde. Dort, wo man etwa mit dem Hals sein würde, wenn man die Größe Wilhelm Webers hatte, dort richtete sie mittels Sofakissen die Scheibe mit der scharfen Kante nach oben auf. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Natürlich gab es Unwägbarkeiten, doch wie er auch fallen würde, irgendwie mußte er auf die gläserne Schneide treffen. Der Plan ging natürlich nur auf, wenn sie die Vordertür von innen verriegelte, so daß er durchs Wohnzimmer hineinging – das konnte sie arrangieren –, und wenn er erst in der Dunkelheit nach Hause kam – darauf konnte sie nur hoffen. Immerhin hatte sie ihr Bestes getan. Sie ging zurück in den Gymnastikraum, stellte sich vor den Spiegel und entschied sich, mit schwarzer Schuhcreme zu beginnen. Sie färbte sich die Füße, dann die Ohren. Einmal hatte ihr Vater ein richtiges Ohr mit nach Hause gebracht. Es war jemandem bei einer Schlägerei abgerissen worden. Sie hatten es alle zusammen betrachtet und gelacht. Der Vater hatte es in eine Schublade gepackt. Immer wenn sie gemeinsam lachen wollten, holte er es

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