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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Verdienst.
    Im gegenüberliegenden Haus sah Jakob Finn für einen Augenblick eine weißgekleidete Gestalt hinter den glatten Gardinen. Er überquerte die Straße, um den Namen und die Bezeichnung auf dem Schild zu lesen. Es war eine Arztpraxis. Trivial sprang auf und lief mit schnellem Schritt zur Kirche, hielt plötzlich inne und sah sich um.
    »Schon gut, ich komme ja.«
    Der Student folgte ihm, ließ sich, an Friedhof und Kirche vorbei, bis zum Pfarrhaus führen. Vor dem Haus bog der Hund auf einen gepflasterten Weg ab, der an einem großen, gemauerten Brunnen endete. Auf der runden Mauer ein Holzgestell mit zerbrochener Winde, das einst ein Dach getragen hatte. Ein zehn, vielleicht sogar fünfzehn Meter hoher Stab ragte wie eine Antenne aus dem Brunnen heraus.
    Trivial legte seine Pfoten auf die Mauer, und beide beugten sie sich in den dunklen Schacht. Eine Strickleiter hing herab. Von tief unten kam ein schabendes, blechernes Geräusch mit Nachhall.
    »Pastor Pedus?«
    Das Geräusch verstummte.
    »Pastor Pedus?« Jakob beugte sich weit über den Rand in den Brunnen hinein.
    Ein zögerndes Ja kam von unten.
    »Ich bin es. Ich bin der ...«
    »Ich komme«, vernahm er dumpf. Doch nichts geschah. Er wollte schon gehen, als ihm von hinten jemand auf die Schulter tippte.
    »Sie wollten mich sprechen?«
    Jakob fuhr herum und starrte den Mann in kariertem Hemd und blauer Latzhose an.
    »Ich bin Rudolf Pedus.«
    »Aber waren Sie nicht eben da unten, ich meine, im Brunnen?«
    Der Pfarrer begann laut und anhaltend zu lachen; dadurch wirkte sein Gesicht noch länger, als es von Natur aus schon war. Schließlich hielt er inne und legte seine Hand auf die Schulter des Studenten.
    »Ja, genau, und ich dachte schon, es wäre Gottes Stimme, die mich ruft.« Er lachte wieder. »Aber Sie sind mir auch recht.«

9
    Thomas Timber öffnete die Bürotür und sah den Fremden am Fenster stehen, die Hände gegen das Glas gedrückt. Er erkannte ihn sofort. Rasch zog er die Tür zurück und beobachtete durch einen Spalt, wie der Student seiner am Schreibtisch sitzenden Pflegetochter zaghaft zuwinkte.
    Der Tischlermeister ging zurück in die Werkstatt. Er hatte nicht erwartet, daß der Mann noch im Ort war. Mußte der Kerl ausgerechnet hier die Reparatur seines Wagens in Weinstein abwarten? Wahrscheinlich wohnte er im Gasthaus, weil es hier billiger war (oder der Wirt es ihm eingeredet hatte!). Nun, zwei oder drei Tage würde es Thomas Timber schon gelingen, dem Mann aus dem Weg zu gehen. Notfalls verzog er sich in seine Anglerhütte am Lichter Moor. Das fiel nicht auf, war nichts Besonderes. Mehrmals im Jahr verbrachte er mehrere Tage dort, um auszuspannen. Er lachte bei dem Gedanken. Sein Wunsch nach Ruhe wurde von allen respektiert – niemand wagte ihn in der Hütte zu stören.
    Katharina Freitag hatte den Fremden am Fenster sofort bemerkt, wollte ihm aber kein Zeichen des Erkennens geben. Sie spürte, daß ihr Pflegevater sie durch die angelehnte Tür beobachtete. Doch das allein war nicht der Grund, den Studenten zu ignorieren. Jakob Finn war ihr so gleichgültig wie jeder andere Mann, solange er nicht versuchte, sich ihr zu nähern. Männer, die das taten, bekamen ihre Verachtung, ihren Haß, und wenn sie zu weit gingen, ihre Wut und ihre kräftigen Muskeln zu spüren. Eine Methode, die ihr schon während ihrer Schulzeit alle potentiellen Verehrer vom Leibe gehalten hatte. Sie bedauerte ihre Kameradinnen, die sich mit halbwüchsigen Jungen einließen, jenen Wesen, die ausschließlich von ihren Trieben beherrscht wurden und die nur an das eine denken konnten; um dieses bei einer Frau zu erreichen, waren Männer bereit, zu lügen, zu betrügen und zu töten. Viele Freundinnen besaß Katharina aufgrund ihrer Einstellung nicht. (Genaugenommen keine einzige.) Was hätte sie mit den anderen auch bereden sollen? Deren Gespräche kreisten nur um Jungen. Diese kichernde Bande lernte es nie. Dabei war das Ergebnis, gab eines der Mädchen dem Drängen eines Jungen nach, immer das gleiche: Tränen der Enttäuschung. Wenn es so etwas wie die Liebe überhaupt gab, dachte sie, warum war das Ziel dieser Liebe dann ein so banaler, und von seiten der Männer zwanghafter sexueller Akt? Etwas war falsch an dieser Welt, und Katharina wußte, was es war: Die Liebe der Männer war eine Lüge. Sie waren willenlose Bündel ihrer Triebe und deshalb nichts wert. Beweise dafür gab es genug; so erinnerte sie sich genau, wie sie vergangenen Sommer am Lichter

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