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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Moor baden gegangen war und plötzlich einen Mann im nahen Gebüsch entdeckte, der angesichts ihres halbnackten Körpers seinen Trieb befriedigte. Er hatte nicht einmal großen Wert darauf gelegt, es vor ihr zu verbergen. Ihr Ekel hielt sie davon ab, den Mann zu verprügeln. Ein anderes Mal hatte sie bei einem ihrer Spaziergänge unbemerkt drei vielleicht sechzehnjährige Jungen beobachtet, die auf dem Weg zur Schule in einem Graben hockten und dort, über das Bild einer nackten Frau gebeugt, gemeinsam das gleiche taten. Was gab es an Menschen zu bewundern, die so zwanghaft handelten, deren gesamtes Denken und Fühlen so unfrei war? Nein, sie würde sich niemals mit einem Mann einlassen. Keiner bekam eine Chance. Auch dieser Student nicht. Da konnte er noch so gut aussehen, so witzig sein und am Fenster winken und herumhampeln. Verschwinde, hier gibt es keinen Blick, geschweige denn ein freundliches Lächeln! Sei froh, daß ich dich nicht ansehe. Weißt du, sonst geht es dir wie diesem Bauernjungen, der mich im vorigen Herbst im Wald gejagt und ins Heu geworfen hat. Er hat mir die Kleider vom Leib gerissen. Und das gelang ihm nur, weil ich überrascht war von soviel Brutalität. Nur einen winzigen Moment habe ich überlegt, es unbeteiligt über mich ergehen zu lassen und ihm dann den Hals umzudrehen. Aber ich bin keine Mörderin, verstehst du? Nun, hör mir gut zu, was ich mit ihm gemacht habe: Als er seine Hosen herunterzog, bin ich zum Angriff übergegangen. Die Nase und den Arm habe ich ihm gebrochen und das linke Ohr halb abgerissen. Ich wollte gnädig sein. Wozu das Ganze nehmen? Und dieser Schwachkopf humpelt ins Dorf – jawohl, humpelte, ich habe ganz vergessen zu erwähnen, daß ich ihm das Knie ein bißchen zertrümmerte – und behauptet, er sei gestürzt. Oh, ich habe dafür gesorgt, daß jeder im Dorf die Wahrheit erfuhr. Seitdem habe ich Ruhe. Ist das klar? Und nun verschwinde vom Fenster. Und sollte irgendeiner glauben, er kann mich mit Gewalt nehmen, so erlebt er sein blaues Wunder.
    Der Schatten am Fenster verschwand. Katharina blickte auf. Die Schnauze von Trivial hob sich für einen Moment über die Fensterbrüstung. Er blinzelte ihr zu wie ein Verbündeter. Dabei war er ein Rüde, aber ja sowieso ein Tier.
    Sie bedauerte ihre Pflegemutter Petra Timber und verstand nicht, wieso sie den Tischlermeister geheiratet hatte. Nicht einmal der Wunsch nach einem Kind konnte hinter ihrer Entscheidung gestanden haben. Das war der einzige Grund, den sie noch akzeptierte, wenn sich eine Frau mit einem Mann einließ. Ein Baby – das wäre schon etwas. Doch zur Erfüllung solcher Wünsche gab es heutzutage andere Methoden. Bei Petra Timber war schon vor der Hochzeit bekannt gewesen, daß sie keine Kinder bekommen konnte. Was hatte sie also bewogen, Thomas Timber zu ehelichen, dessen Willen sie sich jederzeit wortlos unterzuordnen hatte? Liebe? Was für eine Liebe war das, bei der einer von beiden zu schweigen und zu leiden hatte?
    Der Tischlermeister nickte seinen beiden Gesellen zu. Sie waren dabei, zwei neue Fenster für den Gutshof zu verleimen. Er dachte an sein gutgefülltes Auftragsbuch. Der Herzensacher Bau- und Möbeltischlerei war es niemals schlecht gegangen, seit seine Vorfahren 1812 hier siedelten. Sie waren mit den van Gruntens hergekommen, und sein Urahn war ursprünglich Schiffszimmerer auf einem Piratenschiff gewesen. Thomas Timber hatte nichts dagegen, der Gedanke gefiel ihm sogar. Sein Großvater hatte noch Ahnenforschung betrieben. Nach dessen Ergebnissen verlief sich die Spur der Familie Timber in Frankreich. Warum nicht, man konnte seinen Namen französisch aussprechen. Auch sein Vater, Otto Timber, der jetzt oben in seiner Dachkammer saß und wie ein Schwachsinniger vor sich hin döste, hatte versucht, alte Unterlagen zu beschaffen, um den Stammbaum zu ergänzen. Zuletzt war er auf eine Spur in Holland gestoßen. Aber dann war er krank geworden. Kein Arzt konnte die Ursache des seltsamen Leidens mit Sicherheit benennen. Stunden verbrachte er regungslos im Lehnstuhl. Es war kein Schlaf, denn er verharrte mit offenen Augen und registrierte alles. Irgendwann kam er für Stunden oder Minuten zu sich und war dann durchaus in der Lage, sich selbst zu versorgen. Doktor Andree betreute ihn und vermutete eine Vergiftung des Gehirns durch die Lösungsmittel bestimmter Holzleime, Holzfarben oder Ätzmittel, die heute nicht mehr benutzt wurden.
    Die älteren Dorfbewohner waren anderer Ansicht. Otto

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