Herzensach - Roman
zu vergeben. Der Wirt verkleinerte seine Pläne im Laufe der Zeit. War es anfangs um hundert Häuser gegangen, so waren es jetzt nur noch fünfzehn.
Das neueste Hindernis auf dem Weg zum blühenden Ferienort war die Veröffentlichung des Tourismusförderungsgutachtens des Kreises. Von der Verwaltung in Auftrag gegeben, von einem anonymen Sponsor bezahlt. Herzensach war die Förderungswürdigkeit vollkommen abgesprochen worden. Alle im Dorf sahen die Sache nun endgültig für erledigt an, nur der Wirt nicht.
(Wirt: »Ich lebe von Gästen. Ihr nicht!«
Gast: »Wir sind deine Gäste.«
Wirt: »Es ist mein Geld, das ich in das Projekt stecke.«
Gast: »Es war mal unser Geld.«
Zwischenruf: »Nehmen wir es ihm weg!«)
Peter Wischberg schob die Pläne zurück. »Gut, und wie ist der Preis jetzt?«
»Ist genau wie bei den Dänen. Auf den Pfennig.« Der Tischlermeister zog einen Umschlag aus dem Jackett und überreichte ihn dem Wirt. »Da ist die Kalkulation und mein neues Angebot.«
Die beiden Männer hoben ihre Gläser, prosteten einander zu und tranken.
»Jetzt ist alles komplett.« Der Wirt wischte sich den Mund. »Jetzt muß Willi ran. Der hat sowieso nichts zu tun als vorzufinanzieren, während ich die Arbeit habe. Soll der mal beim Gutsherrn und seinen politischen Freunden vorstellig werden, damit der Kreistag sich damit befaßt. Zur Feier des Tages könnten wir ein Schlückchen Heilwasser ...«
»Nee, laß mal.«
»Soll ich dir wieder eine Flasche mitgeben? Mußt nur aufpassen, daß nicht jemand anderes versehentlich daraus trinkt. Die Leute sind unvorsichtig geworden.«
Der Tischlermeister hob abwehrend die Hand und grinste. »Wem sagst du das. Früher gab es das bei dir nicht außer Haus!«
Der Wirt runzelte die Stirn.
»Ich verkaufe nur. Bin ich dafür verantwortlich ...«
»Irgendwie schon.«
»Jetzt kommst du auch noch.«
»Die Leute rennen mit den Flaschen durch die Gegend.« Der Wirt zupfte an seinem Kinnbart und kniff die Augen zusammen. »Es ist nichts passiert.«
»Es ist nichts passiert. Es ist nichts passiert. Es ist nichts passiert.«
Die dicke Tochter des Wirts stand mit einer dicken Scheibe Brot in der Tür. »Oma fragt, ob ihr noch was wollt.«
»Verschwinde.« Peter Wischberg versuchte sie mit einer Handbewegung zu verscheuchen.
Sie blieb grinsend in der Tür stehen, biß in das Brot, etwas Marmelade tropfte heraus.
»Was willst du noch?«
Sie kaute zu Ende, schluckte und bohrte mit einem Finger zwischen den Zähnen. »Oma will dann gehen.«
»Sag ihr, ich komme.«
Karin blieb weiter in der Tür stehen und grinste. Sie freute sich, wenn sie ihren Vater wütend machen konnte.
»Ich sagte, ich komme gleich«, brüllte er.
»Oma geht aber schon.«
»Himmel!« Der Wirt fuhr hoch, knickte mit dem beschädigten Knie ein, fluchte und warf einen Stapel Bierfilze nach seiner Tochter, die nicht aufhörte zu grinsen. Mit sechzehn kannte sie nicht nur alle Geheimnisse ihres Vaters (sie beobachtete ihn regelmäßig durch das Schlüsselloch der Badezimmertür), sondern wußte auch, daß sie ihn nicht fürchten mußte, und hatte beschlossen, ihn zu verachten.
»Ich geh dann zu Mami.« Sie drehte sich um und stolzierte hocherhobenen Hauptes davon. Sie kannte auch alle Geheimnisse ihrer Mutter (sie beobachtete sie regelmäßig durch das Schlüsselloch der Badezimmertür) und überlegte noch, ob sie ihr die gleiche Verachtung entgegenbringen sollte.
Der Tischler nahm hastig einen Schluck aus seinem Bierkrug, faltete die Pläne zusammen, steckte sie in einen Umschlag und übergab ihn dem Wirt. »Kann ich hinten raus?« fragte er und wies auf die zweite Tür des Raums.
»Nun bleib doch noch. Meine Güte, drehen denn heute alle durch? Meinetwegen, nimm die Hintertür. Sie ist abgeschlossen, aber der Schlüssel hängt daneben, schließ hinter dir ab und wirf ihn durch den Briefkastenschlitz der Tür.«
Der Tischler stand auf. »Also dann bis Sonntag.«
Er öffnete die Tür, ging einen spärlich beleuchteten Gang entlang, vorbei an einem mit Kisten und Kartons gefüllten Lagerraum und an dem Raum, in dem der Wirt die Herzensacher Liköre mischte, abfüllte und immer wieder versuchte, sie außerhalb des Orts zu verkaufen. Aus seiner Sicht war dies eine klägliche Bemühung des Wirts, die keine Zukunft hatte.
Er fand den Schlüssel für die rückwärtige Tür, ging hinaus und verschloß sie wieder. Im Hof betrachtete er einen Augenblick die Wand, an der das Knie des Wirts zerschmettert
Weitere Kostenlose Bücher