Herzensach - Roman
Herzensach. Der Landwirt mußte Geduld haben und die Natur auf seiner Seite, um einen kleinen Gewinn zu erzielen. Welch Gefühl der Ohnmacht stellte sich ein, wenn der Regen im Frühjahr ausblieb oder gar, wenn er zur falschen Zeit kam, die Ernte vernichtete, wenn ein Virus die Schweine dahinraffte oder Bakterien die Melkanlagen eroberten. Wie anders war es, wenn er mit seinem Partner Gustav Anderson in seinem Berliner Büro saß, da kamen die fetten Angebote von selbst: eine ausgediente Werkzeugmaschine aus der Ukraine, wem konnte man sie vermitteln? Ein industriell rückständiger afrikanischer Staat war bald gefunden, für den sie von Interesse war. Was kümmerte es, ob die da unten damit zurechtkamen. Er kaufte und verkaufte nur. Und bei diesem Geschäft hatten sie neuerdings auch die Naturgewalten auf ihrer Seite: eine Ladung Schrott schwamm über das Chinesische Meer, schnell gekauft, verladen und hoch versichert. Tatsächlich sank der Kahn beim nächsten Sturm.
»Wie habe ich das gemacht?« kam Anderson grinsend ins Büro. Er hatte eine Reederei in Indonesien gekauft mit drei Schiffen, die nicht mehr lange schwimmen würden. »Man muß selbst aus Unglück und Dummheit Kapital schlagen!«
Dieser bewundernswerte Gustav Anderson mit dem schwedischen Paß hatte recht, wenn er sagte, jede Hochkultur sei an ihrem Bildungssystem beziehungsweise der wachsenden Klugheit ihrer Mitglieder zugrunde gegangen. Es braucht Dumme in einem Land, viele Dumme, die Felder beackern, an Maschinen stehen, denen man abkaufen kann, was sie erarbeitet haben, und die für ihr Geld wertlosere Dinge kaufen. Erst wenn du dem auch etwas verkaufen kannst, dem du etwas abgekauft hast, wird dein Gewinn maximal sein, das war Gustav Andersons Wahlspruch. Sein schwedischer Akzent machte jedes Geschäft so ehrlich. Geschäfte. Betrüger und betrogene Betrüger. Was für ein Leben, in dem eine Sekunde über Sieg oder Niederlage entschied. Was für ein Leben, in dem man nach Gesetzeslücken suchte. Was für ein Leben, in dem alles einen Preis hatte. Rauschhafte Raubzüge waren das. Nachts in Berlin. Ergib dich, denn ich kann dich bezahlen. Er konnte bezahlen, was immer man verlangte. Die Geschäfte gingen gut, so gut, daß ihm der Überblick fehlte. Gustav Anderson machte das schon. Denn sein Partner lebte nur für den Moment des geschäftlichen Triumphes.
Seine Vorfahren hatten nach dem Gold auf den Feldern vergebens gesucht. Nein, das Gut war bloß ein Spielzeug, eine Insel, auf der er arglos ausruhen konnte. Die harte Brandung der Welt da draußen schlug gegen ihre Felsen und konnte sie nicht erschüttern. Oder doch? Kündete sich durch das Erscheinen des vermeintlichen Weinstein-Erben nicht nur das Ende der Zuflucht, sondern auch das seines unbeschwerten Lebens an? Ein Sohn mußte her! Auch den mußte man doch kaufen können, ohne eine Frau in Kauf zu nehmen. Warum sollte er das kleine Problem nicht so lösen, wie es sein Partner Gustav Anderson machen würde?
Er war den Berg zur Hälfte hinaufgestiegen, jetzt blieb er stehen und sah auf seine Uhr, vergewisserte sich, daß er nicht zu früh kommen würde. Der Wald wurde lichter. Der Pfad verlief sich. Ein breiter Graben trennte einen jungen Birkenhain ab. Jan lauschte. Ein Windstoß fuhr in die oberen Zweige der Birken, für einen Augenblick schwieg die Vogelschar, und das helle Rauschen der sonnendurchfluteten Baumkronen, das leise Knarren einiger Stämme war alles, was er vernahm. Er unterdrückte ein übermütiges Grinsen, sprang über den Graben und betrat vorsichtig das Birkenwäldchen. Er bemühte sich, geräuschlos zu gehen, keinen Ast zu verbiegen, keinen trockenen Zweig zum Knacken zu bringen. Bald sah er, wie sich die dünnen Bäumchen zu einer mit dichtem hohem Gras bewachsenen Lichtung öffneten. Ein Stück roter Stoff leuchtete mit den Frühlingsblumen auf der Wiese um die Wette. Jan bückte sich, schlich heran. Mit einem gewaltigen Sprung war er bei der im Gras liegenden Frau und hielt ihre Arme fest.
»Ergebt Euch!«
Doch dann zog er sich verwundert zurück. »Was für ein Fang – so schön, so weich, so duftend – verzeiht mir – ich gebe Euch die Freiheit, laßt mich für Euch sterben.«
»Mein kleiner Pirat.« Die Frau umfing ihn. Er küßte sie wild, bis sie sich lachend freimachte. »Oh, was habe ich diese Überfälle vermißt. Komm, besiege mich ganz!«
Dorothee, die ihrem Mann das Knie zerschmettert hatte, Dorothee, Mutter einer dicken, verfressenen
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