Herzensbrecher auf vier Pfoten
Decken schienen sich alle Hundegerüche zu verflüchtigen.
Seit ihrem letzten Besuch an Silvester vor sieben Jahren hatte sich hier nichts verändert. Sie war nach dem ersten ernsthaften Streit mit Oliver hergekommen. Damals hatte sie immer noch versucht, ihn dazu zu überreden, die Feiertage mit ihr zu verbringen, anstatt sie durch seine Weigerung dazu zu verdammen, die Familienfeste allein durchzustehen. Da sie Vals andauernde, holzhammerhafte Andeutungen, doch nunendlich eine Familie zu gründen, nicht mehr ertragen konnte und Olivers ausweichendes Verhalten leid war, hatte sie für sich und Oliver einen Skiurlaub gebucht, den er in der letzten Minute abgesagt hatte, die feige Ratte. Anstatt also zu Hause dem kollektiven Mitleid ausgeliefert zu sein, hatte Rachel Dot angerufen, die sie spontan einlud, zu ihr zu kommen.
Noch während Rachel kilometerlang allein auf weiter Flur nach Worcestershire fuhr, fragte sie sich ernsthaft, was um alles in der Welt sie hier tat, da sie doch in einem nur für Mitglieder zugelassenen Club in Soho hätte flirten können. Doch der Wunsch, unauffindbar zu sein, spornte sie an. Nachdem sie in Longhampton angekommen war, sah die Sache jedoch anders aus. Dot hatte sie in die warme Küche geführt, wo sie gerade einem Hörspiel auf Radio Four lauschte und einen Fish Pie zubereitete. Das Hörspiel zog auch Rachel allmählich in seinen Bann. Den Fish Pie verspeisten sie dann in gemeinschaftlichem Schweigen, mit Ausnahme des Jaulens von etwa sieben herrenlosen Welpen, das aus einer Kiste in der Nähe des Ofens ertönte.
Mitternacht kam und wurde vor dem Holzfeuer verbracht, dazu wurde mit einem Champagner der Marke Krug angestoßen. Dot fragte Rachel nicht, warum sie in einer Nacht wie dieser allein war, wo die meisten Frauen ihres Alters ausgelassen feierten, sondern erkundigte sich nur, ob sie glücklich sei. Diese schlichte Frage durchbrach Rachels aufgesetzte Lässigkeit, weshalb sie Dot unversehens mehr anvertraute als ihrer eigenen Mutter. Obwohl sie ihr nicht alles verriet; sie erklärte lediglich, dass es schwierig war, Oliver auf irgendetwas festzunageln, und dass sie selbst zu stolz gewesen sei, um sich zu Hause den neugierigen Fragen der Familie zu stellen.
»Männer geben sich gern kompliziert«, erwiderte Dot daraufhin mit gequälter Miene, sodass Rachel den Eindruck bekam, dass sie sehr genau wusste, wovon sie sprach. »Dudarfst aber nicht zulassen, dass sie dich beherrschen. Das ist das Schöne an Hunden – ihre Liebe ist aufrichtig. Ein Spaziergang, ein wenig Futter, ein Körbchen …« Sie hielt inne und zog eine Augenbraue hoch. »Eigentlich …«
Dot wirkte in diesem Augenblick Jahrzehnte jünger, während sich Rachel mehr wie ein naives Kind vorkam als wie eine abgespannte Städterin. Doch sie traute sich nicht, nachzufragen. Val hatte ihnen strikt verboten, Tante Dot auch nur eine einzige Frage zu dem seltsamerweise fehlenden Ehemann zu stellen. Alte Gewohnheiten ließen sich eben nur schwer überwinden.
Dot bot Rachel einen Whisky an und reichte ihr kandierte Früchte von Fortnum & Mason, dann hingen beide wieder ihren eigenen Gedanken nach. Rachel ihrerseits wunderte sich, woher Dot die teuren kandierten Früchte von Fortnum & Mason und den Champagner hatte. Dies passte so gar nicht zu dem Bild, das Val gern von Dot zu Weihnachten malte: Angeblich teile Dot mit anderen nur eine Dose Hundefutter mit einem Ilexzweig darin.
Als diese Erinnerung in ihr erwachte, hielt Rachel kurz inne. Damals war sie früh am Neujahrsmorgen aufgebrochen, um sich auf die Besprechung mit einem Kunden vorzubereiten. Danach hatten Dot und sie das gemeinsame Silvestererlebnis nie wieder erwähnt. An ihrer traurigen Beziehung, die sich auf gelegentliche Geburtstags- und Weihnachtskarten beschränkte, hatte sich nichts geändert. Von diesem Silvester an half Rachel jedoch ehrenamtlich in einem Obdachlosenheim aus, um Oliver einen Denkzettel zu verpassen. Was ihn jedoch völlig unbeeindruckt gelassen hatte.
Rachel drang in den Flur vor. Ganz eindeutig hatte Dot seit ihrem Einzug in den frühen Siebzigern nicht mehr renoviert, doch der leicht heruntergekommene Zustand passte zu dem Landhaus. Mit einem hellen Anstrich und ein paarBlumenvasen würde alles ganz anders aussehen. Bald schon würde das Haus ihr gehören, und dann konnte sie alles nach ihrem Geschmack gestalten. Doch diese Erkenntnis versetzte Rachel nicht so sehr in Aufregung, wie sie es eigentlich erwartet
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