Herzensjunge
Papa«, sagt Andreas, »dazu hätte ich Lust. Dann können wir dort auch übernachten. Wir sind ja nicht so anspruchsvoll wie die Damen.«
Ich könnte ihn küssen. Bester aller großen Brüder.
Papa denkt nach. Die Idee scheint ihm zu gefallen. Doch prompt erkennt er ein neues Hindernis. »Dann ist Toni allein zu Hause«, sagt er, »Mama kommt heute Abend erst spät.«
Das hat eine neue Dimension, die ich noch gar nicht erkannt habe.Toni allein zu Hause. Ich unterdrücke ein Jauchzen.
»Lena kann vorbeikommen«, sagt Andreas, »ihr Steppkurs dauert bis zum Abend. Dann kann sie mit Toni essen.«
Das muss nicht sein. Doch ich schweige, um Papa die Entscheidung leichter zu machen. Mit Lena werde ich schon einig werden.
»Komm schon, Papa«, sagt Andreas, »father and son.«
Papa öffnet die Badezimmertür. »Was hältst du von der Idee?«, sagt er zu Mama, die unter einem Gebirge von Schaum in der Wanne liegt.
»Andreas schlägt vor, dass er und Papa in den Harz fahren und dort auch übernachten«, sage ich ein wenig zu eifrig.
»Großartig«, sagt Mama, »zwei Männer im Schnee.«
Dann werden die Skier vom Dachboden geholt.
46
Mama und ich frühstücken allein. Papa und Andreas sind mit zwei Thermoskannen Tee und einem Lunchpaket im Gepäck abgefahren. Adrian hat sich mit einer Schüssel Müsli vor den Fernseher gesetzt.
Er guckt Wickie und will auch noch Löwenzahn sehen.
»So kann es kommen«, sagt Mama.
Ich stelle mich ahnungslos.
»Papas und Andreas’ Ausflug kommt dir doch sicher gelegen.«
»Ich will auf jeden Fall zu Oma ins Krankenhaus«, sage ich.
Mama ist jetzt dran.Was wird sie als Nächstes sagen?
»Ich werde nicht vor Mitternacht zurück sein. Haltet Lena und du es so lange miteinander aus?«
»Ich kann auch sehr gut allein bleiben.«
Mama nickt. Nickt, als ob das abgenickt sei.
»Ich will dich hier vorfinden, wenn ich nach Hause komme«, sagt sie, »und ich will nicht, dass du allein im Dunkeln herumläufst.«
Wo kommt jetzt die Leberwurst her, die sie plötzlich in der Hand hält?
Haben wir versteckte Vorräte hinter den Dosenchampignons?
»Einverstanden«, sage ich.
»Dann treffen wir uns hier um Mitternacht«, sagt Mama.
Manchmal überrascht sie mich wirklich. Was weiß sie?
Sie streicht die Leberwurst auf ihr Brot. Vielleicht sollte Papa weniger vegetarisch sein. Allein schon die Aussicht auf Leberwurst scheint Mamas Nerven gutzutun. Ausgang bis Mitternacht. Ich glaube es kaum.
»Fährst du zu Jan?«, fragt Mama.
Ich bin ganz nah dran, ihr alles zu sagen. Doch Oma hängt ja auch mit drin.Was antworte ich Mama, ohne zu lügen?
»Du kannst dich darauf verlassen, dass Jan mich nach Hause bringt«, sage ich. Eine elegante Überleitung. »Darf ich dich auch mal was fragen?«, füge ich hinzu.
»Nur zu«, sagt Mama.
»Wirst du nur im Studio sein oder gehst du noch zu jemandem?«
Mama legt die Scheibe Schwarzbrot auf den Teller und greift nach der Serviette.Tupft ihren Mund ab und nimmt einen Schluck Tee. Sieht aus, als wolle sie sich wappnen.
»Was vermutest du denn?«, fragt Mama.
Auf diese Frage bin ich nicht vorbereitet. Ich verschlucke mich und huste erst mal ein bisschen. Dann nehme ich meinen Mut zusammen und stürze mich in die Antwort.
»Dass du einen Liebhaber hast«, sage ich.
Was habe ich mir gewünscht? Dass Mama sich vor Lachen ausschüttet?
Tut sie nicht. Doch sie schüttelt wenigstens den Kopf.
»Glauben Papa und Andreas das auch?«, fragt sie.
Schon wieder eine Gegenfrage. Ich schweige. Keine Taktik. Ich schweige und ziehe die Schultern hoch, weil ich die Antwort nicht kenne.
»Letzten Dienstag«, sagt Mama, »als ich spät am Abend nach Hause kam, da saßen die beiden in der Küche und wirkten sehr angespannt.«
»Du bist auch immer angespannt, wenn einer von uns noch nicht zu Hause ist«, sage ich, »und dein freier Abend kam doch ganz schön überraschend. Als Andreas und ich antrabten, gingen wir davon aus, dass ihr mit dem Abendessen auf uns wartet.«
»Papa und ich hatten uns gestritten«, sagte Mama. Also doch. Irgendwas Kaltes greift nach meinem Herzen.
»Es ging um dich«, sagt Mama.
Papa will mir also die Beziehung zu Jan verbieten.
»Aber auch um Papa und mich. Es ging um Freiheiten.«
Ich greife nach meiner Teetasse und warte ab.
»Ich will so nicht weiterleben«, sagt Mama.
Hilfe. Oma. Das darf jetzt nicht sein.
»Ich will es lustiger und weniger gesund«, sagt Mama, »und ich will nicht dauernd kontrolliert werden.«
»Du
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