Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Herzensjunge

Titel: Herzensjunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
Vom Netzwerk:
an der Haltestelle stehen und Kalli zuwinken, der gerade in den Bus einstieg. Ich werde ihr zum nächsten Geburtstag ein Shirt schenken, auf dem »Nowhere without Kalli« steht.
    Doch wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen … Kann ich mir denn ein Leben ohne Jan noch vorstellen? Nein.
    Ich kriege Entzugserscheinungen, wenn ich Jan nicht sehe.
    »Wusste gar nicht, dass Kalli jetzt flötet«, habe ich zu Hanna gesagt.
    Sie platzte vor Stolz, als sei ein großer Künstler an ihrer Seite.Vielleicht schätze ich die Altflöte nicht hoch genug ein.
    Doch es stellte sich heraus, dass hinter Kallis musikalischer Karriere seine Eltern stehen, die nicht länger zusehen wollten, dass Kalli abdriftet und eine Trinkerlaufbahn im Mississippi anfängt.
    Selbst Hannas Eltern sind ihm wieder halbwegs zugetan, seit er flötet.
    Vom Rathaus bin ich zu Oma in die Klinik gefahren. Ist ihr letzter Tag dort.
    Ich wollte wissen, was Papa ihr gestern erzählt hat von unserer Begegnung in ihrer Wohnung.
    »Du siehst aus wie Bonnie«, hat Oma gesagt. Wer ist Bonnie?
    Es stellte sich heraus, dass es mal wieder jemand aus den Sechzigerjahren ist, als Oma ihre heiße Zeit hatte. Ein Film über ein Gangsterpärchen, der Bonnie und Clyde hieß. Da hatte diese Bonnie eine Baskenmütze auf.

    Doch zuerst habe ich ihr erzählt, was ich gestern von Jan erfahren habe.
    Vom Tod seiner Mutter.Vom Zorn auf seinen Vater.
    »Ich dachte mir, dass es ein gewaltsamer Tod war«, sagte Oma.
    Sie schwieg eine Weile. Ich hatte auch keine Worte.
    »Kommt ihr beiden doch mal in den nächsten Tagen zu mir«, sagte sie, »vielleicht kann ich euch helfen.«
    Das war nicht nur so dahergesagt. Oma hat eine konkrete Idee im Kopf, das sehe ich ihr an. Doch sie sagte nichts weiter dazu.
    »Du weißt, dass dein Großvater sich auf den Weg über die Alpen macht?«, fragte sie stattdessen.
    Papa hat es ihr also erzählt. Sie scheint es gelassen zu nehmen.
    Ich habe genickt. »Was hat Papa denn darüber erzählt, dass er mich gestern in deiner Wohnung erwischt hat?«
    »Er war beeindruckt von deiner Rede an ihn.«
    »Glaubst du, dass er sich ändern wird?«
    »Er will es versuchen«, hat Oma gesagt.
    Mama wird sie morgen Vormittag aus der Klinik abholen. Alle anderen haben Schule. Ich leider auch.

71
    Papa lächelt, als ich meinen Kopf zur Tür hereinstecke.
    »Sag jetzt nicht, dass ich aussehe wie Bonnie«, sage ich.

    »Du warst bei Oma?«, fragt er. »Das kann doch nur sie gesagt haben.«
    »Kennst du den Film denn auch?«, frage ich. »Du warst doch höchstens ein Jahr alt, als der in die Kinos kam.«
    »Du wirst es nicht glauben«, sagt Papa, »doch man kann durchaus Dinge kennen, die vor der eigenen Geburt stattgefunden haben. Was sagt denn euer Geschichtslehrer dazu?«
    Außer Papa und mir ist nur Adrian da. Keine Ahnung, wo Mama und Andreas stecken. Ich gehe in mein Zimmer, um noch Mathe zu lernen. Morgen schreiben wir eine Arbeit. Das ist auch der Grund, warum ich Jan heute nicht sehen kann. Der brütet über Latein. Irgendwie schaffen es die Lehrer doch immer, einen Stau zu produzieren. Den ganzen Herbst dösen alle vor sich hin, und dann fällt ihnen Weihnachten ein, dass noch in allen Fächern Arbeiten geschrieben werden müssen.
    Doch ich kann mich nicht lange auf die Welt der Zahlen konzentrieren.
    Die Tür geht auf und Mama kommt ins Zimmer.
    Sie legt mir die neue Ausgabe der Zeitschrift auf den Tisch, für die Mama arbeitet. »Schlank in sechs Stunden« ist der Titel, der mir ins Auge springt. »Eine Diät, die in sechs Stunden wirkt«, sage ich, »die mache ich.«
    »Quatsch«, sagt Mama. »Erstens bist du schlank genug. Zweitens wird man nicht in der Zeit schlank, sondern soll alle sechs Stunden eine Möhre oder ein hart gekochtes Ei essen. Drittens guck dir diesen Titel an.«
    Ihr Finger fährt über die Titelseite und bleibt auf einer tiefgrauen Überschrift liegen: Die Wahre Geschichte .

    »Allein das Grau wirkt doch schon tragisch«, sagt Mama.
    Ich staune. Haben sie nicht gerade erst die Fotos gemacht? Sonst brauchen sie doch immer ewig für eine solche Geschichte.
    »Das ging aber schnell«, sage ich.
    »Wieso«, sagt Mama, »das war doch schon im Oktober.« Sie runzelt die Stirn. Sie hat es nicht gern, wenn wir uns nicht danach verzehren, ihre Geschichten zu lesen. Ich blättere blitzschnell um.
    Auf einer Doppelseite sehe ich ein leeres Kanu auf hohen Wellen. Ein einziges Paddel hängt noch darin. Eine verlassene Mütze liegt auf dem

Weitere Kostenlose Bücher