Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
machen?«, fragte Mertens. »Sie haben es selbst gesagt, mir bleibt nur noch wenig Zeit. Ich kann mich glücklich schätzen, dass Sie mir die öffentliche Bühne eines Prozesses bereitstellen, bevor ich sterbe.«
»Ich wünsche Ihnen, dass Sie bis Prozessbeginn fit genug bleiben, um den Zeugenaussagen folgen zu können, vor allem denen der Gutachter, die Ihr sogenanntes Lebenswerk auseinandernehmen und Ihnen wahnhafte Ideen bescheinigen werden.« Oliver beugte sich vor. »Hoffentlich bekomme ich die Gelegenheit, Ihnen in die Augen zu sehen, wenn Ihnen bewusst wird, dass Sie bestenfalls als verblendeter Narr in die Geschichte eingehen werden.«
Mertens schüttelte erneut den Kopf. »Sie haben keine Ahnung. Selbst wenn meine Arbeit nicht anerkannt werden sollte, habe ich doch eine Manipulation durchgeführt, von der gewöhnliche Psychiater und Psychologen nur träumen können. Sie werden mich verehren – auf die eine oder eben die andere Weise.«
Oliver musste einsehen, dass es keinen Sinn hatte, mit dem Kerl zu diskutieren. Er würde seinen kranken Überzeugungen erlegen bleiben, bis er für immer die Augen schloss.
Es gab einiges, was er ihm gerne ins Gesicht gesagt hätte. Beispielsweise, dass die ärztliche Versorgung im Gefängnis nicht gut genug sein würde, um ihm qualvolle Schmerzen zu ersparen. Dass sich sein Sterben lange hinziehen und er bei vollem Bewusstsein miterleben würde, wie der Krebs seinen Körper Zelle für Zelle zerfraß. Doch Grohmann sprach nichts von alldem aus.
Er nickte Jennifer zu. Sie standen auf und verließen grußlos den Raum.
Die beiden uniformierten Beamten gingen hinein, um Wilfried Mertens festzunehmen.
Oliver lehnte auf dem Rewe-Parkplatz an seinem alten Ford und beobachtete aus sicherer Entfernung die Polizeirazzia in dem darunterliegenden Keller. Es war zwar bereits Abend, der Supermarkt hatte aber noch geöffnet, und so ging er in der Menge der Neugierigen unter, die stehenblieben, um der Polizei bei der Arbeit zuzuschauen.
Zufrieden sah er, wie die Beamten allerlei schräge Vögel abführten, in die bereitstehenden Streifenwagen setzten und davonfuhren. Es folgten Kisten und Kartons mit beschlagnahmtem Beweismaterial. Zwei Leute von der Spurensicherung kamen und fuhren eine Stunde später wieder davon.
Um halb elf brachten die Beamten schließlich Tobias Fiedler nach oben, in Handschellen, sein Gesicht eine Maske aus Wut und Enttäuschung. Der Anblick erzeugte in Oliver ein Gefühl tiefer Befriedigung.
Er hatte aus Hannah nicht herausbekommen, was am Samstagabend passiert war, dafür hatte aber Selina Fiedler, die sich zumindest körperlich bereits auf dem Weg der Besserung befand, ziemlich viel über ihren Bruder erzählt. Über die Drogen, die Mädchen, die Sammlung konservierter Organe. Sie hatte genügend Informationen geliefert, um den Oberstaatsanwalt von einem Besuch in Fiedlers Keller und seinem Haus zu überzeugen. Die Organe bei ihm zu Hause waren bereits sichergestellt.
Olivers Handy klingelte. Die Nummer seiner Kollegin Laura Conrad. Die Durchsuchung war also beendet. Laura hatte die Ermittlungen übernommen, damit man ihm später nicht Befangenheit wegen Hannahs Verbindung zu Fiedler vorwerfen konnte.
»Grohmann.«
Die Stimme der Staatsanwältin klang ernst und zufrieden zugleich. »Wir haben weitere Organe, Gras und etwas Kokain gefunden. Das reicht für eine Nacht im Knast, aber letztlich wohl nur für einen Strafbefehl, ein paar Monate auf Bewährung. Fiedler ist nicht vorbestraft.«
»Mehr habe ich auch nicht erwartet.« Einerseits wäre es eine Genugtuung gewesen, wenn sie mehr gefunden hätten, andererseits war Oliver wegen Hannah froh, dass es bei der Durchsuchung nicht noch irgendwelche Überraschungen gegeben hatte. »Außerdem: Danach ist er vorbestraft.«
»Ich werde die Organe ins Labor schicken lassen, dann können wir den DNA -Abgleich vornehmen. Falls Fiedler tatsächlich irgendeins der Organe von dem Killer bekommen haben sollte und wusste …« Sie beendete den Satz nicht.
»Davon ist nicht auszugehen, aber man kann nie wissen.«
»Jedenfalls wird Fiedler in den nächsten Stunden keine schöne Zeit haben. Wir können ihm zwar, was die Mädchen angeht, keine Straftat nachweisen, aber er ist trotzdem ein widerlicher Kerl. Ich werde persönlich dafür sorgen, dass er die schlimmsten Stunden seines bisherigen Lebens durchmacht, bis der Haftrichter ihn wieder von der Leine lässt.«
Oliver grinste. »Das wollte ich hören. Danke.«
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