Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
»Woher wussten Sie …?« Sie hatten bisher keine Fallbeschreibung in die Systeme eingespeist, um einen bundesweiten Vergleich des Tatgeschehens zu ermöglichen. Larissa Schröders Tod war trotz der Zweifel, die ihnen inzwischen gekommen waren, noch als Einzeltat eingestuft worden.
Der Kommissar zuckte die Schultern. »Buschtrommeln. Sie wissen doch, wie das läuft.«
Natürlich wusste sie es. Der eine Kollege erzählte einem anderen von seinem Fall, der es wiederum dem nächsten erzählte. Spätestens der dritte Beamte gehörte nicht mehr zum selben Zuständigkeitsbereich. Es war ein Wunder, dass Informationen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, meist erfolgreich unter Verschluss gehalten werden konnten.
»Konnten Sie das Opfer schon identifizieren?«, fragte Jennifer.
Der Hanauer Ermittler zog eine durchsichtige Beweismitteltüte aus den Tiefen seines Mantels und reichte sie ihr. Darin befand sich ein dünnes Taschenbuch. »Das hatte der Tote in der Hand. Sehen Sie sich die Rückseite an.«
Dort waren neben der Inhaltsangabe ein Autorenfoto und eine Kurzbiografie abgedruckt. Das Foto ließ keinen Zweifel daran, dass sie den Verfasser des Buches vor sich hatten: Cedric Mattes, Diplom-Psychologe. Der Titel des Buches jagte Jennifer einen kurzen, dafür umso kälteren Schauer über den Rücken: »Hass und andere verkannte Gefährten.«
»Was steht auf den Zetteln?«
»Zitate, würde ich annehmen, zumindest sind sämtliche Aussagen in Anführungszeichen gesetzt. Alles dreht sich um dasselbe Thema: Hass.«
Jennifer musste an Larissa Schröder denken: die perfekte Braut, umgeben von Symbolen der Liebe.
Hass. Liebe. Liebe und Hass.
In Jennifers Magen bildete sich ein harter Klumpen. Hätte ihre Intuition sie nicht wenigstens dieses eine Mal täuschen können?
»Dieser Mord steht offensichtlich in direktem Zusammenhang mit Ihrem aktuellen Fall.«
Jennifer hatte überhaupt nicht bemerkt, dass der Hanauer Staatsanwalt ihnen gefolgt war. Er stand ein paar Meter entfernt und musterte sie eindringlich. In seinem Tonfall schwang eine unausgesprochene Mitteilung mit: Ihre Zuständigkeit. Die Hanauer würden sich nicht um den Fall reißen, so viel war klar. Kein Beamter, der einigermaßen bei Verstand war, hätte sich bei dieser Sachlage freiwillig für zuständig erklärt.
Jennifer sagte lieber nichts dazu. Sie würde dem Staatsanwalt keine Munition liefern, um diesen Mord in die Zuständigkeit von Lemanshain abschieben zu können.
»Entschuldigen Sie mich einen Moment, ich muss telefonieren.« Sie gab dem Kommissar das Buch zurück und verließ das Gebäude, den Blick des Staatsanwalts im Rücken. Sie wussten beide, dass sie sich dadurch wenig elegant einer Antwort auf seine Feststellung entzog.
Deshalb war Jennifer froh, draußen auf dem Hof Olivers alten Ford zu entdecken, der gerade neben ihrem VW hielt. Sie ging ihm entgegen.
Selbst in dem diffusen Licht sah er furchtbar aus. Seine schwarzen Haare standen ungewaschen vom Kopf ab, er hatte tiefe Schatten unter den geröteten Augen und roch noch aus zwei Metern Entfernung nach abgestandenem Zigaretten rauch.
»Welcher Zug hat dich denn überfahren?«, fragte Jennifer entsetzt. Ihre Sorge galt dabei allerdings eher den bevorstehenden Verhandlungen als seiner Gesundheit.
»Ich habe nicht mal eine Stunde geschlafen.« Seine Stimme klang ungewöhnlich rau und tief. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte Jennifer eine schwere Erkältung vermutet. »Meine Band hatte gestern – oder vielmehr heute – einen Auftritt.«
Jennifer musterte ihn eingehend. Ihr gefiel nicht, was sie sah, ganz und gar nicht.
Oliver verstand ihren Blick auch ohne Worte. »Ich bin vollkommen übermüdet, das ist alles. Sonst wäre ich nicht hier.«
»Wo ist dein Chef?« Jennifer hoffte, dass sich der Oberstaatsanwalt auf dem Weg hierher befand. »Kommt er noch?«
Oliver schüttelte den Kopf. »Er hat mir die Ehre übertragen.« Ihm entging keinesfalls, dass die Kommissarin von dieser Information alles andere als begeistert war. »Wieso? Was ist los?«
»Die Hanauer werden versuchen, uns die Sache aufs Auge zu drücken.«
Oliver schloss kurz die Augen und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. »Worum geht es überhaupt?«
»Männlicher Toter, übersät mit irgendwelchen Hasszitaten, Autor eines Buches, das Hass zum Thema hat. Sein Herz fehlt.«
Oliver stöhnte auf. »Oh fuck.«
»Ganz meine Meinung.« Dass er einen derartigen Kraftausdruck benutzte,
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