Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
überrascht.
Ein Lächeln umspielte Aileens Mundwinkel. »Herausfinden, ob ich Mitglied in einer Sekte bin.« Sie lehnte sich zurück, ließ Hannah jedoch nicht aus den Augen. »Ja, ich bin Mitglied einer Gruppe, und ja, ich gehe heute Abend zu einer ihrer Veranstaltungen. Meine Frage ist, ob du herausfinden willst, ob es eine Sekte ist. Live. Vor Ort. Heute Abend.«
Hannah schluckte. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer derartigen Einladung. »Du darfst Leute von außerhalb mitbringen?«
»Ich darf mitbringen, wen ich will. Zumindest heute Abend.«
In Hannahs Kopf schrillten alle möglichen Alarmglocken. Sie wusste, dass es besser wäre, auf sie zu hören, doch die Versuchung war einfach zu groß. Sie zögerte nur eine Sekunde, bevor sie nickte. »Okay. Ich komme mit.«
»Gut.« Wieder erschien dieses hämische Lächeln auf Aileens Lippen, das sie scheinbar perfekt beherrschte. »Allerdings nicht in den Klamotten.«
Hannahs Befürchtung, sie müsse ihr Outfit dem von Aileen anpassen, bestätigte sich nicht. Ihre Mitschülerin durchwühlte zwar die beiden Koffer mit ihrer Kleidung, gab sich aber mit einer schwarzen Hose und einem dunkelgrauen Pullover zufrieden und bestand auch nicht darauf, dass Hannah sich dunkel schminkte.
Die anschließende Busfahrt führte sie in ein abgelegenes Industriegebiet am Stadtrand. Es war Samstagabend, und die meisten Gebäude und Betriebsgelände lagen verlassen da. Die beiden Mädchen waren die Einzigen, die an der Endhaltestelle ausstiegen.
Es war eiskalt, dunkel und, nachdem der Bus abgefahren war, unheimlich still. Sie mussten ein ganzes Stück laufen, bevor sie ihr Ziel erreichten, ein Gelände mit einem großen Hof, einer Halle, deren Fenster mit Läden verschlossen waren, und einem kleinen Nebengebäude.
Eine einzelne Laterne erhellte den Hof, auf dem eine große Anzahl Autos abgestellt war. Bei den meisten handelte es sich um Durchschnittswagen, wie Hannah erleichtert feststellte. Der Anblick beruhigte sie, denn in der letzten Stunde hatte ihre Phantasie einige sehr beunruhigende Szenarien heraufbeschworen. Sie würde wohl weder als Blutopfer auf einem Altar enden noch anderweitig missbraucht werden.
Aileen schritt auf die Halle zu und öffnete zielstrebig die schwere Metalltür. Dahinter lag ein kleiner, nur spärlich beleuchteter Raum mit einem Tresen, der vermutlich als Empfang gedacht war. Er war allerdings nicht besetzt, dafür standen zwei große, muskulöse Männer in der Mitte des Raums und versperrten den Weg in die Halle.
»Wir sind Gäste von Jesaja«, stellte Aileen mit einem Hauch von Arroganz fest.
Die Männer musterten die beiden Teenager eindringlich. »Ein bisschen jung«, bemerkte der Ältere schließlich. »Habt ihr eure Personalausweise dabei?«
Aileen streckte schweigend ihre linke Hand aus, an dem der Ring mit dem dunkelroten Stein prangte.
Die Reaktion der beiden Sicherheitsleute war erstaunlich: Sie traten sofort zurück, machten ihnen mit einer einladenden Geste den Weg zur nächsten Tür frei und verbeugten sich sogar ein klein wenig vor ihnen. Wofür auch immer Aileens Ring stand – er machte aus zwei jungen Mädchen, denen der Zugang zu der mysteriösen Veranstaltung verwehrt werden sollte, zwei Persönlichkeiten, denen man schon beinahe unterwürfigen Respekt zollte.
Die Tür öffnete sich wie von Geisterhand, und im nächsten Moment betraten sie einen großen Saal. Hannah blieb wie erstarrt stehen und blickte sich um.
Sie hatte das Gefühl, in eine Faschings- oder Halloweenparty hineingeraten zu sein, allerdings eine Party, die eher an eine morbide Trauerfeier erinnerte. Um die zweihundert Menschen hatten sich hier versammelt, überwiegend in Schwarz, einige ähnlich kostümiert wie Aileen, die anderen bildeten ein buntes Sammelsurium dunkler Gestalten.
Hannah entdeckte Kostümierungen aller möglichen historischen Epochen, Einflüsse unterschiedlichster Subkulturen, Personen in Fantasy-Verkleidungen und Gestalten, die als Vampire erschienen waren. Nur wenige waren so wie sie zwar dunkel, aber recht normal gekleidet. Die Versammlung war grotesk und faszinierend zugleich.
Die Menschen passten perfekt in die Umgebung. Die Wände der Halle waren mit dunklen Stoffen verhängt, und auf dem Boden lag grauer Teppichboden. Schmiedeeiserne Stehtische waren auf der gesamten Fläche verteilt, dazwischen thronten aus dunklem Stein gehauene, teilweise lebensgroße Figuren, überwiegend trauernde Gestalten und weinende Engel.
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