Herzensruhe
Sichabmühen die ständige Überforderung. Sie fühlen sich den Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht gewachsen. Sie haben Angst, ausgemustert, ausgestellt zu werden. So mühen sie sich ab und plagen sich. Das Wort „Plage“ kommt vom lateinischen Wort „plaga“ = Schlag, Streich, Wunde, Strafe des Himmels. Die Plagerei oder Plackerei wird als ein Schlag erlebt.
Der Himmel schlägt mich, daß ich mich so abmühen muß. Das Wort Plage hängt auch mit „Fluch“ zusammen. Viele erleben die Plackerei ihres Lebens als Fluch, der über ihnen liegt. So hat
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es schon das Alte Testament gesehen, wenn Gott bei der Vertreibung aus dem Paradies zu Adam spricht: „So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens“ (Gen 3,17).
Die Last, die wir heute zu tragen haben, ist heute weniger die Last des jüdischen oder kirchlichen Gesetzes. Es ist die Last, die man selbst mitschleppt, die Last seiner Erziehung, die Last, die man sich selbst auferlegt. Manchmal ist es die Last der Selbstbestrafung, die man auf sich nimmt, um den quälenden Schuldgefühlen zu entgehen. Manchmal ist es die Last des eigenen Über-Ichs, das einen anhält, immer zu arbeiten. Dieses Über-Ich verbietet einem das Ausruhen, das Nichtstun. Es läßt einen nie in Ruhe. Es gibt ständig einen Kommentar zu allem, was man tut. Und es ist nie zufrieden mit dem, was ist. Es nörgelt an uns herum, so wie damals die unzufriedenen Eltern an uns herumkritisiert haben. Die Last drückt uns nieder. Sie bedrückt und erdrückt uns. Sie raubt uns den inneren Frieden.
All denen, die zur Ruhe unfähig geworden sind, bietet Jesus einen Weg an, Ruhe zu finden. Er gebraucht dabei das Wort
„anapauso“: aufhören lassen, unterbrechen, Ruhe verschaffen, erquicken, und „anapausis“: Unterbrechung, Ruhe, Ruheplatz.
Unser deutsches Wort Pause kommt davon. Bei den Griechen bedeutet „anapausis“ nicht nur Arbeitsruhe, sondern auch die notwendigen Ruhezeiten, die die inneren Organe des Menschen brauchen, die der Sportler braucht, und die Ruhe vom Kriegsdienst. Im religiösen Sinn kann „anapausis“ auch Erlösung von allen Übeln bedeuten. Die Ruhe ist für die Griechen etwas Heiliges und ein Heilsgut, um das man die Götter bittet. Das Alte Testament sieht es ähnlich. Da sehnt sich der Fromme nach der Sabbatruhe, die Gott ihm zugedacht hat.
Die Ruhelosigkeit ist ein Fluch. So muß Kain ruhelos umherirren: „Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein“
(Gen 4,12). Dieser Fluch, der auf Kain lastet, prägt auch heute das Verhalten vieler Menschen. Ruhelos irren sie herum. Sie
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mühen sich ab, ohne daß es sich wirklich lohnt. Denn ihre Arbeit trägt keine Frucht (vgl. Gen 4,12). Bei Kain ist der tiefste Grund der Ruhelosigkeit die Schuld, die er durch die Ermordung seines Bruders Abel auf sich geladen hat. Die Schuldgefühle quälen ihn und lassen ihn ruhelos umherirren. Dieses Bild des ruhelosen Wanderers ist in der Gestalt Ahaswers in die Überlieferung der Völker eingegangen. In vielen Märchen gibt es auch die ruhelosen Menschen, die durch die Wälder irren müssen, bis sie irgendwo Erlösung finden. Es scheint, daß unsere Zeit vom Fluch der Ruhelosigkeit geprägt ist. Und auch heute könnten die verdrängten Schuldgefühle der Grund sein, warum die Menschen immer wieder vor sich davonlaufen und es nirgendwo länger aushalten. Viele trauen sich nicht, auszuruhen, aus Angst, dann könnten all die beiseite geschobenen Schuldgefühle wieder aufbrechen, dann könnte ihnen aufgehen, daß sie ihren Bruder Abel verletzt, daß sie sein Schreien überhört haben, daß sie an seiner Not vorübergegangen sind.
Philo, der jüdische Philosoph, betrachtet die Ruhe als höchsten Wert. Dabei versteht er die Ruhe nicht als Untätigkeit, sondern als mühelose Tätigkeit. Gott ruht, ohne müde zu sein.
Seine Ruhe ist schöpferisches Tun. Für Philo findet der fromme Mensch ähnlich wie Gott die schöpferische Ruhe, während der Unvernünftige ruhelos ist. Die griechischen Theologen, Clemens von Alexandrien und Origenes, haben die Gedanken des Philo in ihrer Interpretation der Bibel weiter entfaltet. Jesus führt in die wahre, in die vollkommene Ruhe (teleia anapausis).
Denn wer durch die Reinigung seiner Seele zur Ruhe gefunden hat, der begehrt nic hts mehr als Gott. Wer sich vom Lärm der Welt in die Ruhe des Schweigens zurückgezogen hat, der wird reinen Herzens erfahren, wie Gottes
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