Herzensruhe
Im letzten Jahrhundert wurde Benedikt einseitig von der Liturgie hier interpretiert, als ob er der große Liturge gewesen sei. Doch er ist in erster Linie Mönch, der die Lehren des östlichen Mönchtums in die Situation einer Gemeinschaft im Westen hinein übersetzt. Er zeichnet sich dabei aus durch eine große psychologische Weisheit und durch das rechte Maß, das keinen überfordert. Das war wohl der Grund, daß sich diese Regel unter vielen anderen im Westen durchgesetzt und das Mittelalter im Abendland geprägt hat. Ich möchte mich nur auf das Thema der Ruhe und Unruhe bei Benedikt beschränken.
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5. Ruhe und Unruhe
Im Prolog zu seiner Regel läßt Benedikt mit dem Propheten fragen: „Herr, wer darf in deinem Zelte wohnen, oder wer wird ausruhen auf deinem heiligen Berg?“ Im Lateinischen steht hier
„requiescit“. Requies heißt Ruhe, Rast, Erholung. Benedikt versteht den Weg des Mönches also als einen Weg zur Ruhe auf dem Berg Gottes, als einen Weg zur Erholung in Gott. Der Weg dorthin besteht allerdings durchaus im Kampf, im Kriegsdienst, im Befolgen der Worte der Schrift. Der Anfang dieses Kampfes erscheint dem Mönch oft genug hart. Er muß durch das enge Tor des göttlichen Gebotes eintreten. Aber dann „weitet sich das Herz, und mit der unsagbaren Freude der Liebe eilt er voran auf dem Weg der Gebote Gottes“. Die Ruhe, die Benedikt versteht, ist nicht eine untätige Ruhe, nicht ein faules Sich-Ausruhen, sondern die Ruhe des weiten Herzens, des offenen Herzens. Der Mönch, der den Weg der Gebote gegangen ist, der mit sich und seinen Leidenschaften gekämpft hat, kommt in seinem Herzen zur Ruhe. Das Herz wird weit, weil nun Gott selbst darin wohnt.
Die Ruhe, die Benedikt meint, ist keine sich selbst genügende Ruhe, in der der Mönch sich von der Welt abschließt, sondern eine einladende Ruhe, in der auch die Ruhe finden können, die sich auf den Weg zum heiligen Berg machen. Es ist eine schöpferische Ruhe, von der alle die leben, die im Umkreis des Klosters leben. Sie wird zu einer Quelle des Segens für alle, die die Gastfreundschaft des Klosters in Anspruch nehmen.
Im Mittelalter haben die Mönche ihr Leben vor allem mit dem Begriff „otium“ und „quies“ beschrieben. Ihr Leben in der Klausur verstehen sie als otium, als innere Ruhe. Sie ist die Bedingung, um Weisheit zu erlangen. Sie verstehen ihre Ruhe als Vorwegnahme der himmlischen Ruhe, die uns erwartet. Der Mönch ist wesentlich ein otiosus, einer, der unbeschäftigt ist,
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der frei ist für Gott (vacans deo), im Gegensatz zum Menschen in der Welt, der negotiosus ist, der beschäftigt ist mit tausend Dingen. Frei sein für Gott, die Ruhe bei Gott genießen, unbeschäftigt sein, Muße haben für Gott, darin sehen die Mönche des Mittelalters das Wesen ihres Lebens. Aber es ist keine Ruhe, die nur um sich selbst kreist. Sie verwirklicht sich vielmehr gerade im Tun. Daher verlangt Benedikt die innere Ruhe vor allem vom Abt und vom Cellerar, von den beiden wichtigsten Führungsgestalten im Kloster.
Vom Cellerar, der für die wirtschaftlichen Belange des Klosters verantwortlich ist, fordert Benedikt, daß er nicht aufgeregt (turbulentus) sei, daß er weise und nüchtern sei und die Brüder nicht betrüben soll. Er soll bei seiner Aufgabe auch für sich selbst sorgen und sich nicht überfordern, damit er immer mit Gleichmut (aequo animo) sein Amt verrichten kann. Die Erwartungen, die Benedikt an den Cellerar stellt, könnten heute durchaus auch für Manager gelten.
Allzuoft geschieht es in den Firmen, daß Manager, die innerlich zerrissen sind, auch um sich nur Unruhe und Hektik verbreiten. Weil sie mit ihren Emotionen nicht zurechtkommen, stiften sie auch bei ihren Mitarbeitern Verwirrung. Benedikt stellt deswegen so hohe Ansprüche an den Cellerar, daß er fähig werde, die Gemeinschaft so zu leiten, daß „im Hause Gottes niemand verwirrt (perturbetur) oder traurig wird“. Er soll durch seine ruhige Art selbst Ruhe ausstrahlen und so den Menschen dienen. Viele Menschen leiden heute unter ihren Abteilungsleitern, weil sie mit ihrer inneren Unruhe die Mitarbeiter anstecken. Der Aufgeregte hat seine Mitte verloren.
Er läßt sich ständig von außen bestimmen. Er läßt sich von jedem Konflikt in Beschlag nehmen, ohne ihn aus gesunder Distanz in aller Ruhe anschauen und lösen zu können. Statt aufgeregt soll der Cellerar die Ausgeglichenheit der Seele besitzen und mit Gleichmut (aequo animo) arbeiten. Der Gleichmut
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