Herzensruhe
ist ein Ideal der stoischen Philosophie. Der Mensch
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soll gelassen sein, frei von Affekten, ohne daß er sich von Emotionen hinreißen läßt. Er soll innere Ruhe ausstrahlen. Nur aus dieser inneren Ruhe und Gelassenheit heraus wird der Cellerar mit den Brüdern so umgehen können, daß sich jeder geachtet fühlt, selbst wenn er unvernünftige Wünsche hat. Nicht der wirtschaftliche Erfolg zählt bei Benedikt, sondern die Achtung des einzelnen und das Klima der Ruhe und des Friedens, das in der Gemeinschaft herrscht, und die Seelenruhe des einzelnen. Traurigkeit schafft Unruhe. Wenn der Cellerar die Brüder von oben herab behandelt, würde er sie verärgern.
Die Unruhe, die er dadurch erzeugt, würde auch sein wirtschaftliches Handeln beeinträchtigen. Effektiv kann der Cellerar nur wirtschaften, wenn er unter seinen Brüdern ein Klima der Achtsamkeit und Ehrfurcht erzeugt. So könnten die Erfahrungen der Regel in Führungsseminare für Manager eingehen und ihnen bei ihrer Leitungsaufgabe neue Wege weisen.
Der eigentliche Führer des Klosters ist der Abt. Auch vom Abt verlangt Benedikt, daß er mit innerer Ruhe und Sicherheit sein Amt ausübe. Und er zählt Haltungen auf, die diese Ruhe verhindern. Da heißt es vom Abt: „Er sei nicht aufgeregt oder ängstlich, nicht maßlos oder engstirnig, nicht eifersüchtig oder argwöhnisch, weil er sonst nie zur Ruhe kommt“ (Benediktregel 64,16). Da ist einmal die Angst. Wer Angst hat, kommt nie zur Ruhe. Das kann die Angst vor der Meinung der andern sein.
Dann kann ich nie stehen lassen, was ich gesagt habe. Nach jedem Gespräch werde ich die Worte innerlich wiederholen und mir Vorwürfe machen, wenn ich die Worte nicht gut genug gewählt habe. Ich werde überlegen, was der andere wohl von mir denken könnte, ob er wohl enttäuscht sei, ob er wohl meine Unsicherheit und meine Unklarheit bemerkt habe. Angst treibt mich immer um. Sie verhindert wirkliches Ausruhen. Die zweite Eigenschaft, die die Ruhe verhindert, ist das Aufgeregtsein: turbulentus. Es bedeutet: unruhig, stürmisch, voller Verwirrung,
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Unruhe erregend. Da ist ein Mensch, der nicht klar durchblickt, der keinen Blick hat für seine Leidenschaften, der vielmehr von ihnen hin und her geworfen wird. Er ist nicht bei sich, er wird vom Sturm vieler Gedanken verwirrt und beunruhigt. Und er wird von den verschiedensten Emotionen, die ihm von seinen Mitmenschen entgegenkommen, bestimmt. Gerade der Abt wird mit vielen negativen Emotionen seiner Mitbrüder konfrontiert.
Wenn er sich da in die unklaren Gefühle hineinziehen läßt, kann er nicht mehr führen, dann entsteht um ihn herum ein Gefühlsbrei, ein Sumpf von unklaren Emotionen, der alle immer tiefer in sich hineinzieht und jede klare Führung verhindert.
Ein anderer Grund zur Unruhe ist die Maßlosigkeit.
Maßlosigkeit kennzeichnet den heutigen Menschen. Er findet kein Maß für das, was er braucht, was er möchte, was er leisten kann. Immer möchte er noch mehr. Nie ist er zufrieden mit dem, was er erreicht hat. Er kann das Gegenwärtige nicht genießen.
Er möchte immer noch mehr. Er kann sich nicht auf den Augenblick einlassen, sondern ist immer schon weiter. Er denkt sich immer neue Strategien aus, wie er mehr Geld verdienen könnte, wie er seinen Besitz vermehren, wie er seine berufliche Karriere in neue Bahnen lenken könnte. Er kann sich nicht über sein neues Haus freuen. Denn schon sieht er bei einem Freund, wie der sein Haus ganz anders gebaut hat. Er kann seinen Urlaub nicht genießen, weil er sich schon ausdenkt, wohin er nächstes Jahr wohl fliegen könnte.
Die vierte Haltung, die innere Ruhe verhindert, ist die Engstirnigkeit. Obstinatus heißt es im Lateinischen. Es kann bedeuten: fest entschlossen, hartnäckig, unveränderlich. Da beißt sich jemand fest an einem Entschluß, den er einmal gefaßt hat. Er ist unbeweglich. Er kann nicht ab- und zugeben. Diese Engstirnigkeit, oder wie der Hebräerbrief es nennt, die Verhärtung, hindert uns daran, zur Ruhe zu kommen. Wenn ich engstirnig bin, ärgere ich mich über alles, was über diese Enge hinausgeht. Man könnte meinen, die Verneinung jeder
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Bewegung und Veränderung könnte doch gerade der Ruhe förderlich sein. Aber das Gegenteil trifft zu: wer sich so fest an etwas klammert, der findet keine wirkliche Ruhe. Er möchte die Ruhe durch einen klaren äußeren Entschluß festmachen. Aber bei aller äußeren Unveränderlichkeit wird seine Seele aufgewühlt werden. Die
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