Herzensruhe
verschiedenen Gedanken werden in seinem Herzen gegeneinander streiten und ihm die innere Ruhe rauben.
Die Eifersucht ist ein weiteres Hindernis für die Erfahrung echter Ruhe. Goethe hat die Eifersucht als eine Leidenschaft definiert, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Wer von Eifersucht heimgesucht wird, der weiß, wie sie ihn umtreiben kann. Er kann sich noch so sehr einreden, daß seine Frau ihm treu ist. Aber wenn er sich konkret vorstellt, daß sie gerade mit diesem Mann spricht, dann nützen alle rationalen Überlegungen nichts. Er kommt einfach nicht zur Ruhe. Er quält sich den ganzen Abend, bis seine Frau nach Hause kommt. Umgekehrt geht es der Frau genauso, die weiß, daß ihr Mann eine hübsche Sekretärin hat, mit der er sich gut versteht. Sie kann sich noch so darum bemühen, ihm zu vertrauen, immer wird sie die Eifersucht quälen. Sie wird sich tausend Gedanken machen, wie die beiden miteinander umgehen. Und sie kommt nie zur Ruhe.
Sie kann die eifersüchtigen Gedanken und Gefühle einfach nicht abstellen.
Die sechste Haltung, die die Erfahrung der Ruhe verhindert, ist der Argwohn. Suspiciosus heißt es im Lateinischen. Es kommt von sub specie spicere, unter dem Anschein sehen, auf etwas insgeheim sehen, im Verdacht haben, Argwo hn haben gegen jemanden. Das deutsche Wort „arg“, das in Argwohn steckt, meint schlimm, böse, schlecht. Argwohn ist eine schlimme Vermutung. Die zweite Silbe „wohn“ kommt von wan
= Meinung, Hoffnung, Verdacht. Der Argwöhnische hat eine schlechte Meinung vo m andern. Er setzt keine Hoffnung auf ihn, sondern hegt schlimme Befürchtungen. Er ist mißtrauisch. Er
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hat kein Vertrauen zum andern, er traut ihm nichts zu. Er glaubt ihm nicht, und er erhofft sich nichts von ihm. Er schreibt ihn ab.
Solcher Argwohn, solches Mißtrauen macht unruhig. Denn ständig muß ich auf der Lauer liegen, daß der andere mir nicht schadet. Ich traue ihm ja alle Schlechtigkeit dieser Welt zu. So muß ich mich stets in acht nehmen.
Der Abt soll sich vor diesen sechs negativen Haltungen hüten.
Sonst kommt er nie zur Ruhe. Der Abt soll also Ruhe ausstrahlen, um eine Mönchsgemeinschaft führen zu können.
Die Frage ist, wie er zu dieser Ruhe finden soll. Das gibt Benedikt selbst in seiner Regel nicht an. Aber wir können den Weg aus der monastischen Tradition erkennen, der Benedikt folgt. Es ist der Weg der Auseinandersetzung mit den neun Logismoi, mit allen Gedanken und Gefühlen.
Wenn ich mich selbst mit all meinen Leidenschaften wahrgenommen und angenommen habe, dann höre ich auf, meine unterdrückten Bedürfnisse auf die anderen zu projizieren, meine Befürchtungen und Ängste mir selbst gegenüber in die andern hinein zu verlagern. Wenn ich mich mit meinen Leidenschaften ausgesöhnt habe, dann werden mich auch die andern nicht aus meiner inneren Ruhe herauslocken. Ich bin bei mir zu Hause. Ich bin im Einklang mit mir und mit meinen Leidenschaften. Nichts Menschliches ist mir fremd. So lasse ich mich nicht so leicht aus der Fassung bringen, wenn mir aggressive oder feindliche Gefühle von andern entgegenkommen. Ich traue selbst dem, der mir übel mitspielt, noch zu, daß er einen guten Kern hat. Dieses Vertrauen ermöglicht mir die Ruhe inmitten einer großen Gemeinschaft.
Wenn ich alle kontrollieren möchte, weil ich Angst habe, daß die andern unreif sind und die Regel sicher übertreten, dann bin ich in ständiger Unruhe. Ich muß auf der Lauer liegen, damit ja nichts Negatives in der Gemeinschaft, in der Firma, geschieht.
Aber gerade mit meiner mißtrauischen Kontrolle werde ich Mechanismen in Gang setzen, die diese Kontrolle umgehen. Ich
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werde also nie ans Ziel kommen, nie ruhig schlafen können.
So zeigt Benedikt, daß die Ruhe nicht etwas ist, in der der Mönch nur um sich kreist oder nur offen ist für Gott. Sie ist vielmehr die Voraussetzung für ein effektives Handeln, für eine Führung, die Frucht trägt. Ob einer innerlich wirklich ruhig geworden ist, das erweist sich gerade im Tun. Ruhe im Tun, Ruhe in der Verantwortung, Ruhe mitten in den Konflikten des Alltags, das ist nach Benedikt die eigentliche Ruhe, um die es ihm geht. Mit diesen Gedanken hat Benedikt nicht nur den östlichen Mönchsweg in die Situation des Westens übersetzt. Er könnte damit auch unserer Zeit einen Weg weisen, wie Menschen, die mitten in der Welt stehen, den Weg der Herzensruhe gehen können. Viele, die heute in Wirtschaft, Kirche und Gesellschaft Verantwortung
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