Herzensruhe
ausdrücken. Es ist die Sehnsucht nach dem seligen Leben, nach Glück. Es ist die Sehnsucht nach wahrer Freude, nach Heimat.
Der Mensch, der seine Sehnsucht verdrängt, ersetzt sie durch die Sucht. Die Sucht ist immer Ausdruck einer unterdrückten und nicht eingestandenen Sehnsucht. Die Sucht treibt den Menschen zu immer neuer Bedürfnisbefriedigung. Er muß ständig Alkohol trinken oder eine Droge nehmen. Der Arbeitssüchtige hat nie genug. Immer muß er noch mehr arbeiten. Er wird von seiner Sucht getrieben. Die Unruhe, die heute viele erfaßt hat, ist oft Ausdruck der Sucht, die sie bestimmt. Die Sucht macht den Menschen unersättlich. Letztlich ist die Sucht ein Festhalten an der nährenden Mutter. Man möchte ständig die Mutter bei sich haben, die einem alles gibt, was man braucht. Aber die Ruhe, die das Kind bei der Mutter gefunden hat, findet der Süchtige bei seinem Mutterersatz nicht.
Im Gegenteil, er wird nur noch hin und her getrieben. Er ärgert sich, daß er noch abhängig ist von seiner Mutter, und kommt
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doch nicht los. Er verurteilt sich, daß er trinkt, und trinkt doch immer wieder. So wird die Sucht zu einem Teufelskreis, der den Menschen sich immer schneller drehen läßt, bis er am Ende ist und am Boden liegen bleibt. Die Frage ist, wie wir aus diesem Teufelskreis ausbrechen können.
Für Augustinus besteht der Weg zur Ruhe darin, daß wir wieder mit unserer Sehnsucht in Berührung kommen, daß wir unsere Süchte wieder in Sehnsucht verwandeln. In der Sehnsucht erfahren wir, daß in uns ein weltjenseitiger Kern liegt, etwas, das diese Welt übersteigt. Wenn wir mit unserer Sehnsucht in Kontakt sind, dann können wir auf einmal einverstanden sein mit unserem Leben, so wie es ist. Dann können wir uns verabschieden von den Illusionen, die wir uns vom Leben gemacht haben und die uns in die Unzufriedenheit getrieben haben. Unser Leben muß gar nicht perfekt sein. Es muß nicht alle unsere Wünsche erfüllen. Es bleibt ja noch ein Rest, den allein Gott erfüllen wird. Wenn ich die Sehnsucht nach Gott in mir spüre als den eigentlichen Stachel, der mich lebendig hält, dann relativiert sich hier alles. Ob ich jetzt Erfolg habe oder nicht, spielt nicht mehr die entscheidende Ro lle. Ob ich mit meinem Beruf zufrieden bin oder nicht, ist nicht mehr so wichtig. Ich kann auf alles gelassen herabsehen. Denn in der Sehnsucht habe ich einen Punkt in mir, der das Alltägliche übersteigt. Und dieser Punkt ist der Ruhepunkt in allen Turbulenzen meines Lebens. Er befreit mich von der Unruhe, die mich hier schon die Erfüllung meiner Wünsche suchen läßt.
Wenn ich weiß, daß allein Gott meine tiefste Sehnsucht erfüllt, dann kann ich ruhig und gelassen ja sagen zu dem Leben, wie es halt ist, mit allen Höhen und Tiefen, mit seinen Begrenzungen und Behinderungen.
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7. Wege zur Ruhe heute
Die spirituelle Tradition hat viele Methoden entwickelt, wie wir zur Ruhe kommen können. Das Ziel der geistlichen Methoden war allerdings nicht in erster Linie die Ruhe, sondern das Gebet. Die Grundfrage der geistlichen Lehrer war, wie wir so beten können, daß wir mit Gott eins werden. Für Evagrius war es das höchste Ziel, ohne Zerstreuung zu beten. Das gelingt nur, wenn uns die Gedanken und Gefühle, die Leidenschaften und Bedürfnisse nicht mehr stören. Die Gedanken können aber nicht mit einem einfachen Willensentschluß beiseite geschoben werden. Es ist ein langer Prozeß geistlichen Ringens, bis wir in einen Zustand der Ruhe gelangen, in dem wir ungestört und ohne abgelenkt zu werden, beten können. Schon für die frühen Mönche ist es dabei wichtig, richtige Methoden zu entwickeln.
Evagrius meint, wer ohne Methode kämpfe, würde vergebens kämpfen. Daher haben die geistlichen Väter soviel Wert auf die richtige Methode gelegt. Sie muß die Psyche des Menschen berücksichtigen. Sie darf sich nicht gegen die psychische Struktur des Menschen richten, sondern muß um die psychologischen Gesetze der Seele wissen. Es gab in der Tradition immer wieder auch unerleuchtete Wege, die den Menschen seelisch vergewaltigt haben. Doch die eigentliche geistliche Tradition hat sich immer an Wege gehalten, die den Menschen wirklich zum Leben führen, zur Freiheit und zur inneren Ruhe.
Auch wenn es viele bewährte Wege aus der Tradition gibt, so hat es wenig Sinn, all diese Wege auf einmal zu gehen. Jeder muß für sich selbst herausfinden, welcher Weg für ihn in seiner momentanen psychischen Verfassung
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