Herzensstürme - Roman
für ihn. Doch als Kelvins Miene sich jetzt wandelte und er mit rührender Freude ihre Hände ergriff, schluckte sie die spitze Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, herunter. Kelvin war keine Schönheit, mancher hätte ihn vielleicht sogar als abstoßend hässlich bezeichnet, und doch nahm er Brianna sofort für sich ein, denn sie spürte, dass dieser Mann gutherzig und ohne Falsch war.
»Ich alter Trottel habe wieder viel zu rasch geurteilt«, schalt er sich selbst. »Wie soll ich dir nur danken, dass du mir diesen leichtsinnigen Burschen am Leben gehalten hast. Aber so war er schon als Knabe, da habe ich ihm das Reiten beigebrach, und er hat sich im Übereifer fast den Hals gebrochen.«
»Ja, er hört nur ungern auf einen klugen Rat«, stimmte Brianna lächelnd bei.
»Ganz recht! Immer mit dem Schädel durch die Wand!«, rief Kelvin, der sich über dieses glückhafte Wiedersehen immer noch nicht beruhigen konnte.
»Und niemals weiß man genau, was er vorhat«, sagte Brianna.
»O ja. Er ist eigenwillig und mag sich niemandem fügen.«
Angus hatte die Arme vor der Brust gekreuzt und blickte stirnrunzelnd von Brianna zu Kelvin und wieder zurück.
»Eure Einigkeit erfreut mein Herz«, bemerkte er spöttisch. »Dennoch gibt es Wichtigeres. Vor allem: Wo ist Gordon?«
Kelvins frohe Miene schwand, und seine Züge wurden düster.
»Versorgen wir zuerst die Reittiere«, murmelte er. »Hinter dieser Mauer können wir sie über Nacht anbinden, sie sind dort gut vor allen Blicken verborgen. Wir selbst steigen in den Turm hinein.«
»Etwa auf dieser Leiter?«, fragte Brianna erschrocken.
»Es gibt keinen anderen Eingang.«
Misstrauisch näherte sich Brianna dem Bäumchen, rüttelte daran und blickte unentschlossen nach oben. Es schien ihr reichlich wackelig und hoch war es auch.
»Steig auf meinen Rücken und halte dich an mir fest«, schlug Angus schmunzelnd vor. »Ich trage dich hinauf, meine kleine Gefährtin.«
Einen Augenblick lang war sie unschlüssig, doch als sie das spöttische Glitzern in seinen Augen sah, straffte sie sich.
»Nein danke! Aber es wäre sehr nett, wenn du die Leier, die Trommel und meine Fiedel tragen könntest.«
»Ganz wie du willst.«
War er enttäuscht? Es schien fast so. Immerhin blieb er neben dem Stamm stehen und hielt ihn sorgfältig fest, während sie mit gerafftem Kleid hinaufkletterte. Auf der anderen Seite gab es zum Glück eine Treppe aus Stein, die sich an der Innenwand des Turmes entlang bis nach unten wand. Dort lag allerhand Schutt und Geröll herum, von Gras und Büschen überwuchert, die hier im Windschatten recht gut gediehen. Kelvin hatte sich aus geborstenen Balken und Zweigen einen Unterstand gezimmert, ein paar Vorräte, eine Decke, ein Kochtopf und ein
Schlauch mit Wasser vervollständigten seinen Hausstand.
»Hätte ich geahnt, dass Connor solch eine hübsche Lady mitbringt, dann hätte ich wenigstens einen Schemel besorgt«, scherzte Kelvin verlegen. »Aber ich kann dir für die Nacht mein Lager anbieten, da wirst du trocken liegen, falls es wieder regnen will.«
»Das ist sehr freundlich von dir«, lehnte sie ab. »Aber ich bin sowieso noch nass, da ist es gleich, wo ich heute Nacht liege.«
Angus hatte die Leiter wieder ins Innere des Turmes gezogen, seine Bewegungen waren ungeduldig, und als Kelvin nun begann, ein Feuer zu entzünden und den Topf mit Wasser füllte, hielt er ihn davon ab.
»Lass Brianna für uns kochen - ich will hören, was geschehen ist.«
»Wie du willst, Connor …«
Natürlich, sie war die Frau und hatte diese Arbeit zu verrichten. Dagegen hatte Brianna ja auch eigentlich nichts einzuwenden. Doch sie fand es empörend, dass Angus sich mit Kelvin nicht etwa neben dem Feuer niedersetzte, sondern etliche Schritte davon entfernt. Wollte er nicht, dass sie das Gespräch mithörte? Es war wirklich nicht einfach, die Worte zu verstehen, denn sie sprachen schottisch miteinander, und dazu knisterten und knackten die Hölzer im Feuer.
Dennoch begriff sie bald, was Kelvin zu berichten hatte, denn ihr Gehör war schärfer, als Angus geglaubt hatte.
Gordon hatte einige Tage gemeinsam mit Kelvin auf die Rückkehr seines Bruders gewartet. Als ihnen dann jedoch ein Bauer die Nachricht zutrug, dass man Braveheart hingerichtet habe, war ihnen klar, dass Angus’ waghalsiger Plan gescheitert war. Kelvin
hatte dennoch darauf bestanden, auf Connor zu warten, denn er hoffte verzweifelt darauf, dass sein Freund mit dem Leben davongekommen war.
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