Herzensstürme - Roman
folterte.
Oben im Turm gab es eine kleine Pforte, die zum Raum der Wächter führte, ein kreisrundes, kahles Gemach, nur mit zwei Strohsäcken ausgestattet, auf dem hölzernen Fußboden stand irdenes Geschirr herum, eine ausgebrannte Laterne, ein schadhafter Krug.
»Bis zum Abend kannst du dich hier ausruhen, Bardin«, sagte Sir Lewis. »Versuche nicht, die Pforte zu öffnen - sie wird von zwei Männern bewacht.«
Er ging an ihr vorbei und sah durch eine der vier schmalen Maueröffnungen nach draußen, obgleich dort außer den hin- und herwabernden Nebeln nicht viel zu erkennen war.
»Und denke auch nicht daran, aus dem Turm zu springen. Du würdest dir nur den Hals brechen oder im Burggraben ersaufen.«
Sie schwieg. So schrecklich ihre Lage auch war, ein Rest von Hoffnung war ihr immer noch geblieben. Heute Abend würde sie ihre Kunst zeigen. Sie würde um ihr Leben singen und tanzen. Sie würde alles tun, um den Statthalter für sich zu gewinnen, auch wenn er ein widerlicher, abstoßender Kerl war. Alles - ganz gleich, was es war. Es war ihre einzige Chance, Angus zu helfen, ihn vor dem schmählichen Tod in London zu bewahren.
»Besonders der Burggraben ist kein hübscher Ort, die Weiber werfen alle Küchenabfälle hinein, von anderen Dingen ganz zu schweigen.«, meinte Sir Lewis spöttisch, und seine Begleiter grinsten.
Sie straffte sich. Ihre Hoffnung war nur schwach, auch war ihr keineswegs klar, wie sie ihre Absicht umsetzen sollte. Doch alles war besser, als zu verzweifeln.
»Ich brauche meine Musikinstrumente«, forderte sie.
»Heute Abend wirst du sie in der Halle vorfinden!«
»Ich habe Hunger.«
Er verzog das Gesicht und schien sie ob dieser Frechheit auslachen zu wollen, dann besann er sich.
»Man wird dir etwas bringen.«
Damit ging er hinaus und schloss die Pforte. Sie hörte, wie er den Wächtern draußen seine Anweisungen mit halblauter Stimme erteilte, dann stieg er die Treppe hinunter, und sie blieb allein zurück. Ratlos stand sie in dem kahlen Raum, trat an die Maueröffnungen und versuchte hinauszuspähen, doch der Nebel war so dicht, dass man kaum die Zinnen der Mauer erkennen konnte. Für einen Moment war die dunkle Gestalt eines Kriegers auf dem Wehrgang zu erahnen - der Mann starrte in den Dunst wie ihm befohlen
war, doch im Grunde war seine Anwesenheit völlig überflüssig - ein ganzes Heer hätte die Burg einschließen können, und man hätte die Kämpfer im dichten Nebel doch nicht entdeckt.
Aber leider würde kein Heer anrücken, um sie und Angus zu befreien. Braveheart war tot und Schottland endgültig in den Händen der Engländer.
Die beiden Männer, die ihre Pforte bewachten, schwatzten leise miteinander, und sie lauschte mit bangem Herzen. Was konnte sie dagegen tun, wenn die beiden beschlossen, in den Raum einzudringen und über sie herzufallen? Nichts - sie würde es einfach ertragen müssen.
Doch ihre Wächter schienen nicht vom Übermut befallen, ihre gedämpften Stimmen klangen vielmehr ernst, und bald hörte sie einen Würfel über den hölzernen Boden rollen. Sie spielten - vorerst würden sie sie wohl in Ruhe lassen.
Die Zeit kroch dahin wie eine Schnecke. Nur an den Geräuschen, die vom Burghof her zu ihr hinaufdrangen, konnte sie einschätzen, wie der Tag verrann. Die hellen Rufe der Knappen, die im Hof mit Lanze und Schwert übten, das Schelten einer Magd, dass das Brot angebrannt sei, die lauten Forderungen nach Wein und Bier für die abendliche Tafel der Herrschaften. Dazwischen kläfften die Hunde, wenn ein Fuhrwerk oder eine Gruppe Reiter in die Burg kamen, Hufe klapperten auf dem steinernen Pflaster, Hennen gackerten weil sie ein Ei gelegt hatten. Irgendwann am Nachmittag hörte sie leise Schritte auf der Treppe und fuhr erschrocken zusammen. Doch als die Pforte sich öffnete, erschien nur eine runzlige, alte Magd, das Gesicht halb von einer Haube aus braunem Stoff verdeckt. Sie lächelte sie mit zahnlosem
Mund an und stellte einen zugedeckten Korb vor sie hin, darin war ein Krug Wasser, ein Stück Brot und eine kleine Schale mit Haferbrei. Die Alte schien dies für ein köstliches Mahl zu halten, denn sie nickte auffordernd und trippelte wieder hinaus. Draußen redete sie leise mit den Wächtern, wahrscheinlich hatte sie denen auch einen Imbiss gebracht, jedoch ganz sicher nicht nur Wasser, Brot und Haferbrei.
Brianna hatte sich auf den Boden gehockt, denn sie mochte sich nicht auf die dreckigen Strohsäcke der Wachen setzen. Widerwillig kaute sie
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