Herzensstürme - Roman
Mitte des Trupps, Mathew Crow, angetan mit einem langen mintgrünen Mantel über dem gelben Reiterkleid, ritt mit seinen engsten Getreuen voraus, im hinteren Bereich des Reiterzuges befanden sich neben den Kämpfern auch einige Knappen, dazu Maulesel und Packpferde, die Vorräte, Decken und anderes Gepäck trugen.
Langsam und vorsichtig war man über die schmale Holzbrücke geritten, und Angus dachte schaudernd daran, dass Brianna in diese stinkende Brühe gesprungen
sein sollte. Als man sich wieder gesammelt hatte und den Wagenspuren folgend weiterritt, blieben die Männer dicht beieinander, denn jeder fürchtete, im grauen Nebeldunst den Anschluss an die Truppe zu verlieren.
»Verflucht«, murmelte einer der Gewappneten.
»Was ist?«
»Schau doch zurück.«
»Es ist nichts zu sehen, du Spinner.«
»Genau das meinte ich.«
Sie waren kaum einige Pferdelängen von der mächtigen Burganlage entfernt, und doch hatte der Nebel Zinnen, Mauern und Türme bereits vollständig verschluckt.
»Unten in England gibt es auch Nebel«, bemerkte ein junger Kämpfer. »Aber der ist anders. Wie ein Sommerwölkchen ist der - aber hier kommt es dir vor, als ob du durch ein Gewitter reiten müsstest.«
»Es ist der Dampf, der aus der Erde steigt, wenn Kelphie über das Moor fliegt«, mischte sich Angus in das Gespräch. »Von vorn gleicht sie einem Pferd, doch der Hinterleib ist schlangengleich und trägt die Flügel eines Drachen. Wer Kelphie zu reiten versucht, den wird sie ins Wasser ziehen, so dass er jämmerlich ersäuft. Sie soll auch als schöne, junge Frau erscheinen und die Männer zum tödlichen Sprung in die feuchte Tiefe verlocken …«
»Halts Maul, Schotte! Niemand will deine Märchen hören!«
Angus schwieg, doch er hatte wohl bemerkt, dass seine Worte Eindruck hinterlassen hatten, denn die Gewappneten schauten finster drein. Kurz darauf hörte man einen erschrockenen Ruf, ein Pferd schnaubte, laute Flüche waren zu vernehmen.
»Passt auf, wo ihr hinreitet, hirnlose Trottel!«
Ein Pferd war mit den Hinterhufen im weichen Grund eingesackt und in Panik geraten, der Reiter saß ab, es gelang, das Tier zu beruhigen und aus dem Sumpf herauszuführen. Die Truppe hatte anhalten müssen, man scharte sich eng um den Gefangenen, und Mathew Crows zornige Befehle waren mehr als überflüssig. Keiner der Männer hatte die Absicht, in diesem nebligen Moor eine Mutprobe abzugeben, alle wollten diese Gegend so rasch wie möglich hinter sich lassen. Alle außer Angus.
Die Gruppe setzte sich wieder in Bewegung, doch jetzt ritt man vorsichtiger, wagte auch nicht, allzu weit von den Fahrspuren abzuweichen, wodurch sich der Trupp auseinanderzog. Niemand hatte Lust zu reden, alle Aufmerksamkeit galt dem Vordermann, den man auf keinen Fall aus den Augen lassen durfte, um den Anschluss nicht zu verlieren. Das Moor lag still, dumpf klangen die Huftritte auf dem feuchten Grund, irgendwo im Nebel gluckerte und flüsterte es, das Sattelzeug knarrte leise. Dann erklang plötzlich ein langgezogener, klagender Schrei, und einige der Männer hoben die Köpfe.
»Ein Regenpfeifer«, sagte Angus. »Vielleicht auch der Ruf einer Banschie.«
»Du sollst dein Maul halten, Gefangener!«, warnte ihn einer seiner Bewacher und riss energisch an dem Lederriemen.
»Was ist eine Banschie?«, wollte ein anderer wissen.
»Ein bleiches Weib, dem das Haar um die knochigen Schultern weht. Sie kündigt stets ein Unglück an. Wer ihren Ruf hört, der hat nicht mehr lange zu leben.«
»Dann hat sie wohl für dich gerufen, Schotte«, knurrte sein Bewacher hämisch.
»Jeder, der den Schrei der Banschie hört, wird sterben.«
»Jeder, der ein Schotte ist.«
»Oh, seitdem Schottland in eurer Hand ist, ruft sie auch für Engländer.«
»Dir wird das Witze reißen noch vergehen, Schotte, wenn sie dir erst auf dem Richtplatz die Eier abschneiden.«
Der Zug kam wieder ins Stocken, man hörte Crows laute Befehle, und die Männer machten sich kampfbereit. Eine dunkle Form war im Dunst vor ihnen aufgetaucht, zu klein für einen Reiter, zu massig für einen Fußgänger.
»Wer ist da?«, brüllte Crow, der sein Schwert aus der Scheide gezogen hatte. »Der Weg gehört dem König, mach Platz oder wir treiben dich ins Moor hinein!«
»Herr des Himmels - ich bin unschuldig«, ertönte eine verängstigte Stimme. »Man hat mich bestohlen und geschlagen, mich fast ums Leben gebracht …«
Angus stutzte, denn ihm schien, diese Stimme schon einmal gehört zu haben.
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