Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
Mutter, tränenüberströmt. Ich erinnere mich aber schon länger an das Zeichen, das sie auf dem Unterarm hatte, das Ankh. Deshalb wusste ich auch, wohin ich das Ankh bei mir brennen musste.“ Roxy seufzte. „Mir ist auch ihr lächelndes Gesicht wieder eingefallen. Und was sie zuletzt zu mir gesagt hat, bevor sie verschwand. Sie sagte etwas von einem Spurenleser, einem Jäger, und dass er mich nicht finden durfte.“
„Ein Jäger“, wiederholte Dagan nachdenklich. Ihn beschlich ein unangenehmes Gefühl.
Roxy rückte ein wenig zur Seite und richtete sich auf. Sie zog sich die Decke über die Brüste und setzte sich im Schneidersitz vor ihn hin. Dagan war das nicht recht. Er hätte sie lieber weiter in den Armen gehalten und ihre seidige Haut unter seinen Händen gespürt. Um den Körperkontakt zumindest nicht ganz aufgeben zu müssen, nahm er ihren Fuß und streichelte ihn. Elf Jahre lang hatte er versucht, sich von Roxy so weit wie möglich fernzuhalten und jeden Gedanken an sie zu verdrängen. Jetzt konnte er ihr gar nicht nah genug sein.
„Komisch“, meinte sie. „Es ist jetzt genauso wie in dem Moment, als Gahiji in meine Brust gegriffen hat. Plötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, steigen Erinnerungen auf, wie Gasblasen im Sumpf.“ Spielerisch drehte sie den Fuß, während Dagan ihn streichelte. „Ich weiß, vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein, und es sind gar keine echten Erinnerungen. Aber Gahiji …“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist doch ein sehr ungewöhnlicher Name. Als er weg war und ich verletzt im Wäldchen auf der Erde lag, war ich so sicher, dass ich den Namen schon einmal gehört hatte. Ich war mir sogar sicher, dass er der Spurenleser, der Jäger war, von dem meine Mutter gesprochen hatte.“
Dagan horchte auf. „Du hast den Namen schon einmal gehört?“ Es war nicht auszuschließen, dass sie recht hatteund Gahiji tatsächlich ihre Mutter verfolgt hatte. Aber wie sollten dann das Foto ihrer Mutter und der Anhänger in Joe Marins Sammlung geraten sein?
Roxy schluckte, ihre Augen schimmerten feucht. „Meine Mom ist tot, stimmt’s?“
Sekundenlang war Dagan hin- und hergerissen. Sollte er ihr die Wahrheit sagen oder sie mit einer Notlüge trösten? Er entschied sich für die Wahrheit. „Ja, sie ist tot.“
„Ich habe es gewusst.“ Für einen Moment sank Roxy förmlich in sich zusammen. Dagan sah, wie der Schmerz ihr zusetzte, aber sie fing sich schnell wieder, streckte den Rücken und sagte: „Es konnte nicht anders sein. Sonst hätte sie mich gesucht und auch gefunden.“ Plötzlich nahm ihr Gesicht einen harten, hasserfüllten Ausdruck an. „Hat Gahiji sie getötet?“
„Nein“, antwortete Dagan. Es war wirklich unwahrscheinlich, dass Gahiji die Tat verübt hatte. Was allerdings nicht ausschloss, dass er Roxys Mom verfolgt und sie ihrem Mörder in die Arme getrieben hatte.
Schlagartig erinnerte er sich an Alastors Worte. Als sie Joe Marins Keller durchsucht hatten, hatte sein Bruder eine kluge Überlegung angestellt: Mal angenommen, ein Sterblicher hätte sich vorgenommen, einen Reaper zu töten. Hätte er sich da nicht vorher an einem schwächeren Gegner versucht, an einem Dämon oder einem der kleineren Höllengeister?
Oder an einer Isistochter? Dagan zweifelte nicht länger daran. Allmählich kam Bewegung in dieses Spiel. Die Figuren auf dem Brett verschoben sich. Und unversehens saß Gahiji auf der anderen Seite.
Noch war das jedoch keine gesicherte Erkenntnis. Noch hatte er keine Beweise, noch nicht. Dass Gahiji ernsthaft verdächtig war, überraschte Dagan in keiner Weise. Es war auch nicht so, dass er den Gedanken empört von sich gewiesenhätte. Denn seit Gahiji Roxy angegriffen hatte, war ihm der alte Reaper suspekt. Die Attacke unterschied sich deutlich von der kühlen Professionalität eines Seelensammlers. Sie hatte etwas Unkontrolliertes, Persönliches. Und jetzt hatte Dagan weitere Mosaiksteine, die das Bild Stück für Stück vervollständigen würden.
„Nein“, wiederholte er, „Gahiji war es nicht. Ich weiß es genau, denn den Mörder deiner Mutter habe ich mit eigener Hand getötet.“
Roxys Miene verfinsterte sich. „Das wollte ich erledigen.“ „Ich weiß.“ Er konnte ihren Frust nachvollziehen. Hätte jemand anderes Lokans Mörder zur Strecke gebracht, wäre es Dagan genauso gegangen. „Nimm’s nicht so tragisch. Wenigstens hat er von mir bekommen, was er verdient. Wie ist es bei dir weitergegangen, nachdem
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